Mondlaeufer
in einer Beschwörung und wurde von einem Messer getroffen. Und wisst Ihr, warum ich überlebt habe?« Er nahm einen weiteren Schluck. »Ich habe es rausgezogen.«
Hätte er noch genug Energie übrig gehabt, wäre Rohan jetzt gern auf dem Teppich hin- und hergelaufen. »Euch Faradh’im ist es doch verboten, Eure Künste zum Töten zu benutzen. Wollt Ihr damit sagen …«
»Ich habe Andrys Übersetzungen gelesen«, unterbrach ihn Meath. »Der genaue Wortlaut erklärt, dass wir unsere Fähigkeiten nicht in der Schlacht einsetzen dürfen. Und genau das ist der Punkt. Ein Lichtläufer, der in Ausübung seiner Kunst von einem Pfeil oder Schwert oder Messer getroffen wird, ist tot.«
»Aber warum?«, rief Sioned. »Es gibt keinen Grund dafür! Warum sollte uns eine kleine Wunde, die wir erleiden, während wir unsere Gabe nutzen, denn töten?«
»Ich weiß es nicht. Aber denkt einen Augenblick darüber nach. In den Schriftrollen steht etwas über die Merida und ihre Glasmesser. Sie haben für die Zauberer gearbeitet. Glas war angeblich heilig. Es wurde zur Ehrensache, ja fast zur Religion, Glas zu benutzen. Es war ihr Markenzeichen, ihre Unterschrift bei einem Mord. Aber warum Glas?«
»Eisen«, sagte Pol unvermittelt lakonisch. Dann schien er selbst erst zu hören, was er gesagt hatte, und wechselte die Farbe. Er langte über den Tisch, goss sich Wein ein und kippte ihn hinunter.
Meath nickte. »Genau meine Meinung. Das Messer, das mich getroffen hat, und auch das andere, an dem Pandsala starb, beide waren aus Stahl. Und ich wette, dass auch Kleves Wunden nicht wirklich tödlich waren. Er wollte seine Gaben nutzen, und das Messer …«
»Aber der Stahl wurde doch wieder weggenommen«, überlegte Rohan. »Es ging nicht anders, sonst hätte Masul doch die anderen Finger nicht auch noch verletzen können.« Er sah, wie den Lichtläufern dabei etwas unwohl wurde und ihre Hände sich instinktiv zu Fäusten zusammenballten, und fügte hinzu: »Verzeiht mir. Aber ich glaube nicht, dass Eure Theorie hier zutrifft, Meath.«
»Ich schätze, dass jeder neue Schnitt dieselbe Wirkung hatte, auch wenn das Messer nicht die ganze Zeit in ihm steckte. Jedes Mal wurde sein Geist verletzt. Bis er daran starb. Ihr habt mir erzählt, Pandsala hätte nur die eine Wunde am Bein gehabt. Und trotzdem ist sie tot. Ihr habt auch gesagt, dass der Schmerz der anderen genauso plötzlich zu Ende war, wie er begonnen hatte. Das muss gewesen sein, als Hollis das Messer herauszog. Das Eisen hat die gemeinsame Beschwörung nicht mehr unterbrochen. Aber für Pandsala war es da bereits zu spät. Stellt es Euch vor wie Blut, das durch die großen Halsadern zum Gehirn fließt. Wenn sie verletzt sind, stirbt das Gehirn. Irgendetwas muss in uns vorgehen, wenn wir Licht weben oder Feuer beschwören, etwas, das durch Eisen unterbrochen werden kann. Danken wir der Göttin, dass Sejast nicht an der Lichtläufer-Beschwörung teilhatte, als Hollis ihn erstach.«
»Und falls wirklich Zauberer die Merida eingesetzt haben«, sagte Rohan, »dann ließen sie sie Glas benutzen, weil sie argwöhnten, diese könnten ihre Messer auch gegen ihre Herren verwenden. Meath, ich möchte sogar wetten, dass die Zauberer eiserne Waffen in ihrer Gegenwart verboten haben. Sie wussten warum, aber niemand sonst. Für jeden, der nicht die Gabe besitzt, ist es egal, ob Stahl oder Glas. Beides tötet.«
Sioned verschränkte ihre Finger. »Also haben wir einen weiteren Grund, Stillschweigen zu bewahren. Wenn irgendjemand erfährt, wie verwundbar wir durch Eisen und Zauberer sind, die sich für Faradh’im ausgeben …«
»… sind wir bestimmt alle bis zum nächsten Sommer tot«, beendete Meath ihren Satz.
Rohan lehnte sich zurück. Er fühlte sich plötzlich uralt. »Also schön. Sagen wir es so: Pandsala und Sejast starben, weil sie nicht stark genug waren für Sioneds mächtige Beschwörung. Das steigert ihren bereits beträchtlichen Ruf als Faradhi, ein netter Pluspunkt. Alle anderen um die beiden und Hollis waren Lichtläufer und konnten nichts genau sehen, geschweige denn sich erinnern, was eigentlich vorgefallen ist. Sejasts Körper ist verschwunden – hmmm, das ist ein Problem. Wie wäre es damit: Urival hat sich als Präfekt der Schule der Göttin persönlich der Leiche angenommen. Das ist schließlich die reine Wahrheit. Wir können Naydra ja erzählen, dass das Messer vergiftet war. Jetzt hat es Urival, und der muss es loswerden. Was habe ich vergessen?«
»Mir fällt
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