Mondlaeufer
ihnen hingesehen; aller Augen waren auf die Gruppe um Maarken gerichtet. Er hatte rasch das Messer aus Sejasts Körper gezogen. Hollis hatte den Kopf gehoben, und ihr helles Haar war ihr strähnig ins Gesicht gefallen. Sie war über und über blutverschmiert gewesen.
»Er ist also tot, nicht wahr?«, hatte sie sehr gefasst gefragt.
»Durch Eure Hand«, murmelte er.
Sie nickte. »Pandsala hat es zuerst versucht, aber sie hat es nicht geschafft.« Plötzlich liefen ihr Tränen die Wangen hinunter. »Ach, Göttin, die Sternenrolle! Er wusste es, er wusste es, er war einer von ihnen, er wollte Maarkens Tod! Gebt mir das Messer zurück, man muss ihn töten …«
»Er ist tot. Und Maarken lebt. Hollis, hört mir zu!«
Doch sie zog ihre Knie zum Kinn, legte ihre Arme darum, wiegte sich hin und her und murmelte weinend etwas über Dranath und die Sternenrolle und Hexerei.
Urival rief Sorin. Der junge Mann wandte sich zu ihnen um, übergab Andry an Lleyn und eilte herbei. Auf Urivals Anweisung hin hob er Hollis hoch, um sie fortzutragen. Sie grub einen Moment ihr Gesicht in seinen Nacken. Dann sah sie wieder Urival an und flüsterte: »Sagt Maarken, dass es mir leid tut. Ich bitte ihn um Verzeihung.«
»Er wird es verstehen.«
»Versteht Ihr es denn?«
Urival nickte. »Bringt sie ins Lager zurück, Sorin.«
Hollis erschauerte, blickte wild um sich, und Tränenspuren wurden zwischen dem Blut auf ihrem Gesicht sichtbar. »Aber Sejast wird nicht da sein, und ich werde sterben. Ihr wisst, dass ich ohne ihn sterbe!«
Sorin starrte sie an. »Herrin …«
»Pst«, flüsterte Urival. »Sie ist nicht dafür verantwortlich, was sie jetzt redet. Beruhigt Euch, Hollis. Ihr werdet nicht sterben, das verspreche ich.«
Sie streckte ihre Hand bittend aus. »Schwört Ihr es? Ich will nicht sterben! Maarken, ich will Maarken, wo ist er?«
Urival legte seine Fingerspitzen auf ihre Stirn und spann Schlaf um sie. Als ihre langen Wimpern sich senkten und die Bedrängnis in ihren Augen verbargen, erklärte er Sorin: »Keine Sorge. Sie wird sich erholen.«
»Wenn Ihr meint, Herr«, kam dessen Antwort voller Zweifel.
Urival zuckte zusammen, als seine Stiefel jetzt in der Dunkelheit auf Glas traten. Die Überreste von Rohans Wasseruhr lagen ihm zu Füßen, zertrampelt und vergessen. Er tastete vorsichtig herum, um sich nicht zu schneiden, und fand schließlich, wonach er gesucht hatte: den goldenen Drachen, der den Deckel der oberen Kugel geschmückt hatte. Er drehte ihn hin und her, rieb mit dem Daumen über die stolz erhobenen Schwingen und steckte dann das Kleinod mit den Smaragdaugen in seine Tasche.
Er blieb stehen, als er die dunklen Blutflecken erkannte, die den Boden getränkt hatten. Nur wenig davon stammte von Pandsala. Es war aus einer Wunde gekommen, die sie nicht hätte umbringen dürfen. Er hatte Sejasts Körper aus der Blutlache auf dem Boden aufgehoben und im nahen Wald versteckt. Dorthin ging er jetzt. Es hatten sich noch keine Insekten über das Fleisch hergemacht, obwohl sie sich längst auf das Blut gestürzt hatten. Ganz kurz überlegte Urival, ob er den Körper nicht einfach in den Fluss werfen sollte. Für den hier würde es kein Reinigungsfeuer geben. Doch er widerstand dem Impuls; Rohan würde das tote Gesicht sehen wollen, und die anderen Prinzen würden einen Beweis brauchen, dass ein Zauberer dabei gewesen war, und Andry tat ein deutlicher Beweis für die Fehlbarkeit von Lichtläufern not.
Er hob die Leiche hoch und trug sie aus dem Wald. Wie Andrade hatte er die arrogante Freude des Jungen an seiner wachsenden Macht gesehen und hatte sie missbilligt. Doch damit war es jetzt aus.
Jetzt, wo die Augen mit ihrem bezwingenden Glanz verborgen waren, sah Urival die Weichheit um die Wangen und die Brauen, die Falte am Mund. Ein Junge aus dem Nichts, ein Junge mit dem Dialekt des Veresch, der sich gezielt an die beiden Lichtläufer mit den engsten Banden an die Wüste herangemacht hatte und der Bruchstücke der Alten Sprache kannte. Und der auch gewusst hatte, wie man Dranath und Hexerei gebrauchte.
Dieses angebliche Naturkind hatte sich in die Schule der Göttin gelogen, hatte Hollis Dranath -süchtig gemacht, was sie vielleicht umbringen würde, und sie und Andry eingelullt, damit sie ihn an den Schriftrollen arbeiten ließen. Er hatte Zauber gewebt, um damit Maarken zu töten. Er hatte Pandsala getötet. Jeder der anwesenden Lichtläufer hatte seine Macht gespürt. Er trug das Erbe des Alten Bluts, er war ein
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