Mondlaeufer
ihr Gesicht verriet Zweifel. Andry hob die Hand, um Alasen das lange, offene Haar aus dem Gesicht zu streichen, doch sie wich vor ihm zurück. In diesen beiden Gesten lag etwas Endgültiges, dachte Rohan traurig. Er fragte sich, ob einer der beiden es wohl auch wusste.
Masuls Körper lag auf dem Sand neben dem Faolain. Die Wunden von Maarkens Schwert und von Rohans Messern waren durch einen schwarzen Umhang verdeckt, der ihm vom Hals bis zu den Stiefeln reichte. Lichtläufer bildeten einen Halbkreis um ihn, als Andry auf den Platz neben der Leiche zeigte, wo Lyell und Kiele stehen und sterben sollten. Alasen ging jetzt zu ihrem Vater und bettelte ihn offen an. Sie standen nahe genug, dass Rohan Vologs Antwort hören konnte.
»Nein. Das ist Sache der Schule der Göttin, nicht unsere. Ich verstehe dein Mitleid, und ich liebe dich deshalb, mein Schatz, aber niemand darf sich da einmischen. Solchen wie ihnen erweist man keine Gnade – wo würde Verrat sonst enden?«
Rohan sah Tränen in Alasens Augen glitzern. In Form und Farbe ähnelten sie so sehr Sioneds Augen, sie hatten jedoch nicht deren Weisheit. Vielleicht hätte Sioned vor zwanzig Jahren genauso gebettelt wie jetzt Alasen. Aber zwischen damals und heute lagen lange Jahre ihrer gemeinsamen Regierung und Herrschaft, schwere Entscheidungen und Kämpfe um das Recht, diese Entscheidungen treffen zu dürfen. Er sah seine Frau an und überdachte, was er sich eben gesagt hatte. Sioned hätte niemals gebettelt. Sie hatte einen kühlen, praktischen Zug in sich, und sie hatte die politische Wirklichkeit immer gut verstanden. Wenn nicht, wäre sie nicht die richtige Frau für ihn gewesen. Wenn Alasen das nicht konnte, war sie auch nicht die richtige Frau für Andry.
Die Adligen stellten sich um die Lichtläufer herum auf, um der Verbrennung zuzusehen. Hier würde es kein Ritual für Feuer, Wasser, Erde und Luft geben; keine Duftöle würden den Gestank von verbranntem Fleisch mildern. Die Flammen, die mit Hilfe von Faradhi -Künsten beschworen wurden, würden die Leiche und die zwei Lebenden nahezu auf der Stelle verzehren. Niemand würde Wache stehen, während sie brannten, und die Lichtläufer würden keinen Wind rufen, um die Asche über das Land verteilen zu lassen. Wenige hatten zuvor gedacht, dass ihnen die Ehre des Flammentods überhaupt zuteilwerden würde. Doch Maarken hatte trotz Andrys Protest darauf bestanden. Und der neue Herr der Schule der Göttin hatte sich den Wünschen seines ältesten Bruders noch nie widersetzt.
Nachdem sie bei ihrem Vater keinen Erfolg gehabt hatte, kam Alasen jetzt zu Rohan und Pol. Sie verbeugte sich tief und flüsterte, ohne die Augen aufzuschlagen: »Hoheiten, bitte, lasst das nicht zu.«
Rohan sagte nichts, denn er wollte hören, was Pol ihr antworten würde. Der Junge enttäuschte ihn nicht. Er runzelte die Stirn und fragte: »Meint Ihr nicht, dass sie es verdienen, nach allem, was sie getan haben?«
»Sie müssen sterben, ich weiß. Und ich stimme dem zu. Aber …« Sie rang die Hände. »Vetter, ich bitte Euch, lasst sie ihren Tod nicht durch Andrys Hände ereilen.«
»Aha!«, stieß Pol aus und sah Rohan kurz an, der jetzt nur eine Braue hochzog. »Und was schlagt Ihr vor, Herrin?«
»Sicher wäre es nicht zu viel verlangt, wenn man sie … dass der Tod vor dem Feuer eintritt, damit ihnen das erspart bleibt. Es würde doch keinen Unterschied machen, oder? Sie wären genauso tot. Aber ohne die Flammen zu spüren.«
»Auch gnädig um Andrys willen?«, fragte er leise.
Sie nickte, während sie noch immer auf den Sand starrte. »Mehr um seinetwillen als um ihretwillen. Bitte, Vetter.«
Rohan sah plötzlich in blaugrüne Augen, die ihn fragten, was zu tun sei – ob es irgendetwas gab, das man tun konnte. Aber es war zu spät. Andry hob bereits die Hände, und jeden Moment würde das Feuer auflodern. Rohan sagte nichts, weil er hoffte, dass die Ereignisse ihm die Entscheidung abnehmen würden. Denn wenn Pol Andrys neue Macht so früh bedrohte, würde Andry das niemals verzeihen oder vergessen. Er ging diesem Gedanken nach und war wieder traurig, dass er es für so selbstverständlich hielt, dass sie einander eines Tages wirklich herausfordern würden.
»Herrin«, sagte Pol gerade, »ich …«
Ostvel schob sich neben sie, und seine Hand bewegte sich blitzschnell, um ein glänzendes silbernes Messer zu werfen. Es fiel vor Lyells Füßen in den feuchten Sand. Der sah überrascht hinunter und bückte sich dann rasch, um
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