Mondlaeufer
seine Hände hinunter, die ihre Arme immer noch sanft festhielten, und ließ sie hastig los. »Ich … Euer Vater sagte, Ihr würdet mit Lord Andry reden«, meinte er leichthin, während er einen Schritt zurücktrat.
Als sie ihn wieder ansah, geriet ihre eben erst gewonnene Haltung wieder ins Wanken. Er wusste oder zumindest ahnte es. Doch er würde nie etwas sagen. Das las sie in seinen Augen. Und etwas anderes. Durch ihr atemloses Erstaunen hindurch wunderte sie sich, warum sie es nicht früher bemerkt hatte – weder bei ihm noch bei sich.
Alasen sah, wie ihre Hände seine Schultern berührten. Sie fühlte seine Wärme, die Stärke unter dem weichen Samt. Wenn Andry das Feuer war, schnell, strahlend und gefährlich, dann war dieser Mann die Erde, dauerhaft, geduldig und sicher. Hier war eine Macht, die sie nicht erschreckte, Augen, die nichts verlangten. Die nur warteten, weil sie erkannten, dass sie etwas wusste, was er sich selbst eben erst eingestanden hatte.
Mit ihm würde es keinen wilden Farbenrausch geben. Es würde nie das atemberaubende Glück der ersten Liebe sein. Sie würde nie erfahren, was es hieß, ein Lichtläufer zu sein und über Bänder aus gewebtem Licht zu fliegen. Es würde nie die Pracht der ungehemmten Macht sein, die Verwirklichung ihrer Gabe. Ein Teil von ihr würde nie Erfüllung finden.
Aber bei ihm würde es Wärme, ruhige Stärke, dauerhafte Zärtlichkeit und Frieden geben.
Sehr langsam ließ sie ihre Hände in seine Hand gleiten. Es war ein schweigendes Angebot. Seine langen Finger schlossen sich fast krampfartig um ihre. Ostvel senkte den Kopf.
Es dauerte lange, bis er sprach, und seine Worte kamen sehr langsam. »Herrin … Alasen … Mein Leben trug der Wind davon, als er vor achtzehn Jahren die Asche meiner Camigwen emporhob. Ich wurde … Vater meines Sohnes, Freund meines Prinzen, Herr von Skybowl. Aber ich lebte nicht wirklich. Ich wusste nicht, wie … wie leer ich war, bis du kamst.«
Sie kam näher, ohne seine Hände loszulassen, suchte seine warme Kraft und legte ihren müden Kopf an seine starke Brust. Sie konnte sein Herz schlagen hören – wie seidene Schwingen. Sie wartete, bis der Rhythmus langsamer wurde, dann löste sie sich von ihm und lächelte ruhig in seine fragenden Augen.
»Komm«, flüsterte sie. »Wir sollten es meinem Vater sagen.«
Wie alle stets gnadenlos praktischen Leute hatte Tobin angeordnet, das Abendessen in Rohans Zelt zu servieren, und ihre Familie und alle Freunde eingeladen, daran teilzunehmen oder fernzubleiben. Heute Abend hätte es das Bankett des Letzten Tages geben sollen, ein Festmahl, das mit jedem Rialla pompöser wurde. Aber nicht in diesem Jahr. Kieles detaillierte Pläne waren vergessen, ihre Dienerschaft blieb samt einer Vielzahl von herrlichen Tellern und Gläsern in der Residenz von Waes, und Prinzessin Gennadi ließ das Essen an die Armen verteilen.
Nur Chiana sah Grund zum Feiern. Zwar sah sie sich um den triumphalen Einzug zum Bankett betrogen, den sie an Halians Seite hatte erleben wollen, und auch um die Chance, mit diesem großartigen Bankett anzugeben, das sie auch im Hinblick darauf vorbereitet hatte, dass es ihre Schwester ein volles Viertel der jährlichen Einnahmen von Waes kosten würde. Um dennoch auf ihre Kosten zu kommen, veranstaltete sie eben ein eigenes elegantes Abendessen für diejenigen Adligen, die es nicht wagten, ihre Einladung abzulehnen.
Tobin überprüfte ihre eigenen Vorbereitungen, wobei ihr klar war, dass niemand sie zu schätzen wissen würde und dass man dieses Essen ebenso gut ebenfalls den Armen hätte geben können. Frische Brotlaibe, Obstkörbe, Fleisch auf silbernen Tabletts, riesige Schüsseln mit Gemüse – sie erwartete, dass fast alles auf dem langen Tisch liegen bleiben würde. Als sie sah, wie ihr Bruder geistesabwesend einen Marschapfel schälte, das Gehäuse entfernte und ihn in Stücke schnitt, um ihn dann einfach wieder beiseitezulegen, seufzte sie verärgert. Doch sie sagte nichts. Er hätte ihr sowieso nicht zugehört.
Bei ihrem Neffen und einem ihrer Söhne hatte sie mehr Erfolg. Wenn Pol auch anfangs wenig zum Essen aufgelegt schien, erlag er doch bald den Forderungen seines gesunden, jungen Appetits. Sorin hatte noch nie im Leben freiwillig eine Mahlzeit verpasst. Maarken war ein hoffnungsloser Fall, denn er versuchte nur, Hollis zum Essen zu überreden. Sioned unterstützte ihn dabei, nachdem sie Rohan einen gespielt entsetzten Blick zugeworfen hatte, als er ihr ein
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