Mondlaeufer
seine Augen in wütendem Schmerz.
»Ihr solltet wahrhaftig klüger sein«, sagte er beherrscht, »als Euch in Lichtläufer-Angelegenheiten einzumischen, Herr.«
Und da verstand Tobin auf einmal, warum Andrade und Urival nicht wollten, dass Pol vom neuen Herrn der Schule der Göttin unterrichtet wurde. Insgeheim verfluchte sie die alte Frau, die Andry alles über den Gebrauch von Macht gelehrt hatte, nur nichts darüber, wann man sie nicht gebrauchen durfte. Andry hob die Hände, an denen bloß vier Ringe glitzerten, und zwischen seinen Finger sammelte sich Feuer, das selbst das Glühen seiner Augen übertraf.
Riyan machte empört einen Schritt auf Andry zu. »Seid wenigstens ehrlich«, knurrte er. »Euch ist es doch völlig gleichgültig, was er für Lyell und Kiele getan hat.«
Andry schien Riyan nicht zu hören. Ostvel schob Alasen zu Sioned hinüber und sah den jungen Mann mit frostiger Miene an.
Der Herr der Schule der Göttin hielt den Feuerball in den Händen, kaltes, weißgoldenes Feuer wie gefangenes Sternenlicht, das nur Licht, aber keine Wärme ausstrahlte. Er sah kurz zu Urival hinüber. »Ihr hättet die Schriftrollen genauer studieren sollen«, murmelte er.
»Und Ihr hättet sie überhaupt nie lesen sollen. Ich bin der Einzige, der Euch die zehn Ringe geben kann, Andry. Überlegt gut, was Ihr tut, sonst werdet Ihr sie niemals tragen. Ihr könnt sie Euch an die Finger stecken, doch sie werden hohl bleiben.«
Wut glänzte in Andrys Augen und in dem Feuer in seinen Händen.
»Andry.« Rohans Stimme durchbrach die lastende Stille. »Bitte.«
Die blassen Flammen zuckten, als er hörte, wie der Hoheprinz, sein geliebter Onkel, dieses eine Wort zu ihm sagte.
Er sah noch einmal in Alasens tränenüberströmtes Gesicht und dann auf das Feuer. Langsam erstarb es. Seine Gesichtszüge verrieten eine Sekunde lang seine Qual, ehe er die Schultern straffte und eine verzweifelt stolze Haltung annahm.
»Ich bedauere …« Er biss sich auf die Lippen und versuchte es erneut, und seine Mutter stöhnte leise über diesen Schmerz, den sie nicht trösten konnte. »Lord Urival, es gibt für uns hier nichts mehr zu tun. Morgen früh brechen wir zur Schule der Göttin auf.« Allein, sagten seine Augen, als er ein letztes Mal Alasen ansah.
Er ließ seinen Blick über die Gesichter der anderen schweifen und verbeugte sich dann kurz vor Rohan. Mit raschen Schritten ging er aus dem Zelt.
Sorin war seinem Bruder in die Nacht gefolgt, ehe ihn irgendjemand daran hindern konnte. Chay fiel auf einen Stuhl und bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen.
»Gütige Göttin«, sagte er mit erstickter Stimme. »Warum habe ich es nicht gesehen? Er ist doch mein Sohn.« Seine Hände fielen auf seine Knie, und er begegnete Urivals Blick. »Bleibt bei ihm. Helft ihm. Er ist so jung, Urival. Er ist so jung.«
Tobin schüttelte Hollis’ tröstende Hand ab, taumelte allein in Pols Schlafabteil und weinte.
Erst kurz vor der Morgendämmerung fand Sioned den Mut zu der Frage, die sie lange beschäftigt hatte.
»Geliebter … woher wusstest du eigentlich, was du sagen musstest?«
Rohan drehte seinen schon lange leeren Weinkelch in den Händen. »Sein Stolz war zutiefst getroffen. Ich musste ihn wiederherstellen.« Er sah mit bitterem Lächeln auf.
»Wie viele Menschen haben den Hoheprinzen je bitten hören?«
Sie nickte angesichts seiner Weisheit. »Sonst hätte er Ostvel vielleicht getötet.«
»Ich weiß. Ich verstehe es. Ich war ungefähr in seinem Alter, als ich dich fand. Wenn ich dich auf die gleiche Weise verloren hätte wie er Alasen – vielleicht wäre ich in derselben Versuchung gewesen wie er.«
Empört protestierte sie: »Du hättest niemals …«
»Wirklich nicht? Liebe ist noch mächtiger als deine Faradhi- Gabe, Sioned. Romantiker würden sagen, wir seien der lebende Beweis dafür.«
»Also hast du seinen Stolz verstanden und dich selbst dafür erniedrigt.« Sie zögerte etwas. »Pol wird das nicht tun.«
»Nein. Aber vielleicht wird es nicht nötig sein.« Rohan setzte den Kelch ab und stand auf. Er bewegte sich wie ein alter Mann. »Er wird Urivals Weisheit haben. Und eine ganz andere Macht als Andry.«
»Du redest nicht über seine Macht als Hoheprinz.«
»Oh, nein. Ganz und gar nicht.«
Kapitel 31
Volog begleitete sie bis zu einer sonnigen Wiese an der Faolainfurt, wo er seine Lieblingstochter Ostvel zur Frau gab. Am selben Tag erfüllte Sioned zwei Versprechen: Sie stand an Hollis’ Seite, als diese
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