Mondlaeufer
Sicherheit bürgte. Er sah Sioned an, die seit einundzwanzig Jahren – sein halbes Leben lang – für seine Sicherheit sorgte. Sie hatte ihre Gabe und ihre Weisheit für ihn eingesetzt, ganz gleich, was Andrade davon hielt. Zusammen waren sie unbesiegbar. Pol würde Rohans Macht und Wissen und Sioneds Lichtläufer-Gaben besitzen. Auch wenn sie ihn nicht selbst geboren hatte.
Instinktiv wusste er, dass er eben erst den Grund für ihre Unsicherheit entdeckt hatte. Wäre mehr Zeit gewesen, dann hätte er sie jetzt damit aufziehen können, bis sie ihre Ängste vergessen hätte. Pol war ebenso sehr ihr Sohn wie seiner, und er hatte sicherlich mehr von ihr als von Ianthe. Beim Gedanken an die tote Prinzessin strafften sich Rohans Schultern. Aber er entspannte sie gleich wieder und nahm Sioneds Hand. Wenn sie sich auch äußerlich anders gab, so konnte er doch immer sagen, wie sie sich wirklich fühlte, wenn er sie berührte. Ihre langen Finger, die trotz der Frühlingswärme kalt waren, bebten ein wenig und reagierten überhaupt nicht auf seinen sanften Druck. Fürchtete sie, dass Pol ihr mit den Jahren entwachsen könnte? Begriff sie denn immer noch nicht, dass die Bindung durch ihre Liebe unendlich viel mehr wog als alle Blutsbande?
Die Tore zum inneren Hof öffneten sich und ließen die Reiter ein. Pol ritt an der Spitze, wie es sich für einen heimkehrenden jungen Herrn gehörte. Ihm folgten Chay, Tobin und Maarken mit zehn Soldaten. Rohan hatte jedoch nur Augen für seinen Sohn. Unter den Jubelrufen der Leute ritt Pol zur Treppe und verbeugte sich im Sattel formvollendet vor seinen Eltern.
Rohan und Sioned erwiderten den Gruß mit hoheitsvollem Nicken und unterdrückten ein Lächeln über Pols jugendliche Ernsthaftigkeit. Aus dem Augenwinkel sah Rohan, dass Chay breit grinste und Tobin die Augen zum Himmel verdrehte, er zwinkerte ihnen jedoch nicht zu. Als Pol abstieg, schritten Rohan und seine Frau die Stufen hinunter.
»Willkommen zu Hause, mein Sohn«, sagte Rohan, und Pol verbeugte sich erneut sehr förmlich. Lleyn und Chadric hatten ihm wirklich gute Manieren beigebracht, doch nach dem Lächeln zu schließen, das plötzlich über sein Gesicht glitt, hatten sie seine Persönlichkeit dabei nicht verformt. Jetzt war nur noch die Frage, ob er seine Förmlichkeit vor der Dienerschaft ablegen konnte, die ihn von klein auf kannte und ebenso stolz und amüsiert war wie seine Eltern.
Pol bestand die Probe, streifte sein förmliches Benehmen ab und lief die Treppe hinauf in die offenen Arme seiner Mutter. Sioned drückte ihn fest an sich und ließ ihn dann los, damit er auch seinen Vater umarmen konnte. Rohan verstrubbelte den dunkelblonden Haarschopf seines Sohnes und lachte ihn an.
»Ich dachte schon, wir würden nie mehr ankommen!«, rief Pol. »Tut mir leid, Mutter, dass wir so spät kommen, aber Maarken wollte eine Antilope jagen. Allerdings ist sie uns bei Rivenrock entkommen.«
»So ein Pech«, bedauerte Sioned, »vielleicht können wir die Jagd morgen fortsetzen. Du siehst so durstig aus, als wäret ihr den ganzen Tag auf der Jagd gewesen. Sollen wir hineingehen und etwas Kaltes trinken?«
»Darf ich erst noch alle anderen begrüßen? Und außerdem muss ich mich noch um mein Pferd kümmern. Onkel Chay hat es mir für den Sommer anvertraut. Ich soll es zum Rialla reiten.«
Sein Vater gab mit einem Nicken seine Zustimmung, und Pol stob davon. Jetzt war Rohan maßlos stolz auf den Jungen. Stronghold hatte gesehen, dass Pol sich verändert hatte: Auftreten und Benehmen waren so, wie es von einem edlen jungen Prinzen verlangt wurde. Doch dann hatte ihn sein Gefühl aufgefordert, die alten Freunde aufzusuchen. Rohan fragte sich, ob Pol das bewusst tat, weil er wusste, wozu es gut war, und verneinte die Frage. Die Echtheit und Spontaneität seines Verhaltens machten ihn umso sympathischer. Chay war abgestiegen und kam zur Treppe. Mit einem durchtriebenen Grinsen verbeugte er sich tief und ehrerbietig vor Rohan. Der wehrte empört ab.
»Fang du nicht auch noch an!«
»Ich wollte nur dem guten Beispiel Eures Sohnes folgen, mein Prinz«, entgegnete Chay. »Und wenn Ihr meiner Wenigkeit und meinem unbedeutenden Sohn vergeben mögt, werden wir Pols Beispiel weiterhin nacheifern und ebenfalls unsere Pferde versorgen. Ihr gestattet, mein Prinz?«
»Weg hier, du Riesenesel«, schimpfte Tobin und gab ihm einen Puff, als sie an ihm vorbei die Treppe hochlief.
Rohan sah sich nach Pol um. Der Junge war der Mittelpunkt
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