Mondlaeufer
eines lebhaften, fröhlichen Haufens von Soldaten, Bogenschützen, Pferdeknechten und Zimmermädchen; sogar Rohans Haushofmeister meinte offensichtlich, er müsse sich eher um den jungen Herrn als um den alten kümmern. Rohan schüttelte verwirrt den Kopf, als er seine Schwester in die Arme schloss. Dass sein Sohn einen unwiderstehlichen Charme besaß, war ihm bisher verborgen geblieben. Tobin küsste Sioned und klärte beim Eintreten die Lage.
»Er ist genau wie du damals, Rohan«, erklärte sie. »Ich schwöre, jeder in Radzyn hätte für ihn gegen Drachen gekämpft, und ich glaube kaum, dass das in Graypearl anders war.«
»Als ich etwas jünger war als er jetzt«, erinnerte Rohan sie, »da lief ich als Bote zwischen einer gewissen Prinzessin und ihrem Zukünftigen hin und her. Mitternächtliche Verabredungen, geheime Schäferstündchen – ist Pol auch darin unterrichtet?«
Trotz ihrer Jahre errötete Tobin. »Ich weiß nicht, aber wenn, dann stellt er sich hoffentlich nicht halb so tölpelhaft an wie du damals. Es hat mich zehn Jahre meines Lebens gekostet, als Vater mich das eine Mal mit Chay erwischt hat!«
»Das war nicht mein Fehler!«, protestierte Rohan. »Außerdem hat man euch bei Hunderten von Treffen nur einmal erwischt.«
»Hunderte! Hört euch das an!« In der Kühle der großen Halle trat sie einen Schritt zurück und musterte die beiden. »Rohan, du hast ja zugelegt. Es ist unglaublich.«
Sioned kicherte. »Fett anzusetzen gehört zu den Privilegien des Älterwerdens.«
»Ich bin nicht fett«, sagte Rohan. Er piekste Tobin durch den Bauch, der noch so fest war wie der eines jungen Mädchens. »Du scheinst dieses Vorrecht jedenfalls nicht zu nutzen.«
»Wenn sie das täte«, kommentierte Chay, der gerade durch die Tür trat, »dann würde ich sie in den Kerker werfen und fasten lassen. Sioned, du bist ja inzwischen noch schöner geworden.« Er küsste sie einmal und gleich noch ein zweites Mal. »Was ist das hier für ein Gerede vom Älterwerden? Und was dich betrifft«, er legte Rohan lachend beide Hände auf die Schultern, »du könntest dich immer noch hinter einer Schwertklinge verstecken. Wieso bin ich eigentlich der Einzige, der hier älter wird?«
Sioneds Augenbrauen hoben sich. »Allein dein Anblick macht alle Frauen in Stronghold schwach, und du fragst so etwas?«
»Oh, ich vergöttere diese Frau!«, seufzte er glücklich. »Aber die Blicke gelten nicht mir, sondern Maarken. Weißt du schon, dass er mich gebeten hat, Whitecliff diesen Sommer neu herzurichten?«
»Oho!«, lachte Sioned. »Sehe ich da Enkel auf dich zukommen?« Als sie Maarken, rot bis über beide Ohren, im Eingang stehen sah, winkte sie ihn herüber, um ihn umarmen zu können. »Kein Wort mehr darüber, versprochen!«
»Vielen Dank«, sagte er aufatmend. »Pol möchte, dass wir schon ohne ihn hochgehen. Er kommt bald nach. Myrdal hat ihn erwischt.«
Tobin nickte und stieg die Haupttreppe hinauf. »Und sie wird ihn nicht so schnell gehen lassen. Also haben wir Zeit, über die Gefahr zu reden, in der er schwebt.«
Die Wärme des Familientreffens gefror zu Schweigen. Tobin, die den anderen schon ein paar Stufen voraus war, seufzte, drehte sich um und hob entschuldigend die Schultern.
»Wir müssen einfach darüber sprechen. Kommt schon.«
Rohan versuchte, die Stimmung zu retten, als sie ihr folgten, und flüsterte Chay hörbar zu: »Wie schafft sie es eigentlich immer, dass ich mir in meinem eigenen Haus wie ein Gast vorkomme?«
»Lieber als ein Gast als ein Diener«, erwiderte Chay philosophisch. »Du solltest mal sehen, was sie mit den Lords und Prinzen anstellt, die dumm genug sind, uns zur Jagd oder zum Erntefest einzuladen.«
»Danke, das habe ich erlebt. Alle drei Jahre beim Rialla . Sie und ich hatten dieselben Eltern und dieselbe Erziehung. Wieso bringt sie das fertig, Chay, und ich nicht?«
Tobin hatte den Treppenabsatz erreicht und sah über die Schulter zurück: »Oh, der arme, ungeschickte, schüchterne Hoheprinz«, spottete sie. »Du machst das auch, du merkst es bloß genauso wenig wie Pol.«
Seit Rohan den Titel des Hoheprinzen übernommen hatte, hatte sich die Zahl der Leute, die in Stronghold kamen und gingen, vervierfacht. Immer häufiger kamen Botschafter aus anderen Prinzenreichen und blieben immer länger, obwohl Rohan gar nicht ständig Hof halten wollte, wie Roelstra es in der Felsenburg getan hatte. Sioneds Lichtläufer-Fähigkeiten machten die Anwesenheit von Abgesandten bei Hof
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