Mondlaeufer
Gerüchte glaubwürdiger. Unser Besuch in der Prinzenmark wird die Hoffnungen dieses Emporkömmlings schneller zunichtemachen als alles andere. Ich nehme genügend Soldaten mit, um Stärke zu demonstrieren, aber auch nicht mehr, als angemessen sind. Außerdem haben wir diese Reise schon geplant, bevor es diese Gerüchte gab. Daher wird es nicht so aussehen, als ob wir damit die Bewohner um Unterstützung bäten.«
Tobin nickte zustimmend. »Eine überstürzte Reise ohne vorherige Ankündigung hätte als Zeichen von Sorge und Schwäche interpretiert werden können.« Sie nahm einen Schluck Wein und nickte erneut. »Wenn Maarken dabei ist, um Pol heimlich zu bewachen, kann er nebenbei alles Notwendige über die Prinzenmark lernen, falls es zur Schlacht kommt.«
»Es wird keinen Krieg geben.«
Rohan hatte nicht einmal laut gesprochen, doch seine ruhige Stimme ließ seine Worte um so überzeugender klingen.
Seine Schwester zog die dunklen Brauen zusammen. »Wenn nötig, wirst du kämpfen. Trotz deinem ganzen Gerede über Ehre und Gesetz gibt es Zeiten, wo nur das Schwert die richtige Antwort ist. Du weißt das ebenso gut wie ich. Auch Pols Ausbildung soll schließlich dafür sorgen, dass er es ebenfalls weiß.«
»Er wird nicht mit dem Schwert leben wie unser Vater.«
Falls Tobin die Warnung in Rohans Stimme gehört hatte, dann überhörte sie diese geflissentlich. »Sei kein Dummkopf. Ich sage doch nicht, dass Pol den Krieg lieben soll wie Vater. Ich sage nur, dass es Zeiten gibt, wo ein Prinz kämpfen muss, oder er ist nicht länger Prinz.«
Rohan begegnete ruhig ihrem Blick. »Du hast recht, Tobin. Aber er ist auch dann kein Prinz mehr, sondern ein Barbar. Und das ist es, was mein Sohn lernen soll, und zwar nicht so schmerzhaft wie ich.«
In das betretene Schweigen, das Rohans Worten folgte, platzte Pol mit seinem hellen Haar, den leuchtenden Augen und seiner grenzenlosen Energie. Sein aufgeregtes Lächeln verschwand im Nu, als er die angespannte Stimmung im Raum spürte. Nach einem kurzen Blick in die Runde sagte er: »Ich merke immer, wenn man über mich redet. Ihr seid alle sofort stumm.«
Sein gereizter Ton verärgerte Rohan. »Wenn du anklopfen und warten würdest, bis man ›Herein‹ ruft, könnten wir vorher geschickt das Thema wechseln.«
Pol erstarrte und wurde rot. Sioned warf ihrem Mann einen zornigen Blick zu und stand auf. »Komm, trink etwas«, sagte sie zu ihrem Sohn.
Er folgte ihr bereitwillig zur Anrichte und fragte dort: »Ist er wütend auf mich?«
»Nein, mein Drachenjunge.«
»Ich bin kein Baby mehr, Mutter. Wann hört ihr endlich auf, mich wie ein Kind zu behandeln?«
»Du warst ein Kind, als du fortgingst. Wir haben uns jetzt noch nicht wieder an dich gewöhnt.«
»Ich bin jetzt erwachsen«, erklärte er entschieden. »Ich brauche nicht behütet zu werden. Was könnte so schlimm sein, dass alle schweigen, wenn ich ein Zimmer betrete?«
Sioned biss sich auf die Lippen. Als sie versucht hatte, Rohans zornigen Ausbruch abzumildern, hatte sie die Dinge nur noch schlimmer gemacht. Sie wollte Pol die Hand auf die Schulter legen, zog sie jedoch zurück. Er war so anders, dieser junge Mann, der anstelle ihres kleinen Jungen heimgekehrt war. Er hatte teilweise bereits die Züge eines Erwachsenen, und auch seine Erwachsenenaugen beobachteten anders. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Schmerzhaft sehnte sie sich nach ihrem Kind. Doch Pol hatte recht: Er war kein Kind mehr. Dennoch gab es Dinge, die er nicht erfahren durfte – und eine Wahrheit, die man so lange wie möglich vor ihm verbergen musste. Wenn sie seine Liebe und sein Vertrauen nicht erhalten konnte, würde sie beides vielleicht für immer verlieren, wenn er hinter das Geheimnis kam.
»Mutter, worüber habt ihr gesprochen?«
Sie war so nervös, dass sie seiner direkten Frage nicht begegnen konnte. Behandle mich wie einen Erwachsenen , baten seine Augen.
Maarken rettete die Lage, indem er Pol nach Einzelheiten der Knappenausbildung fragte, die er wie Pol unter Chadric genossen hatte, und die Stimmung im Raum entspannte sich allmählich. Auf die neugierigen Fragen seiner Verwandten hin erzählte Pol bereitwillig wie jeder Junge, der lange von zu Hause fort gewesen ist und viel gelernt hat. Sioned aber bedauerte zutiefst, dass die Unbefangenheit seiner ersten Begrüßung dahin war, seit sie ihn enttäuscht hatte.
Nachdem sie ihren Wein getrunken hatten, führte Chay Tobin zu ihren Gemächern, damit sie sich ausruhen konnten.
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