Mondlaeufer
immer daran herum wie ein Drache an einem Hirschknochen.«
Sie saßen auf dem Beckenrand der Fontäne. Sioned legte ihm mit tröstender und ermutigender Geste die Hand auf den Arm. Maarken streckte seine langen Beine aus. Seine Stiefelabsätze gruben sich in den Kies, und er starrte auf seine Knie.
»Ich hatte vor abzuwarten, damit sie ihr beim Rialla unvoreingenommen begegnen können und selbst erkennen, wie sie ist. Aber du hast recht, Sioned. Ich weiß einfach nicht, was in meinem Leben wichtiger ist: Herr von Radzyn zu sein oder Lichtläufer. Ich weiß nicht, wie sehr sich das gegenseitig beeinflussen wird, oder wie ich beides in Einklang bringen kann. Ich dachte immer, ich könnte meinem Land, meinem Prinzen und mir selbst am besten gerecht werden, wenn ich beides bin. Doch wenn ich eine Lichtläuferin wähle, sieht es so aus, als gehörte ich mehr zu der einen Seite als zur anderen. Und das bringt Andrade ins Spiel – obwohl sie dabei nichts zu suchen hat. Ich – der Teil von mir jedenfalls, der Herr von Radzyn sein wird – kann einfach nicht zulassen, dass sie sich einmischt.«
»Maarken.« Sioned wartete, bis er sie ansah, und dann zeigte sie auf ihre Wange. Dicht neben ihrem Auge hatte sie eine kleine, halbmondförmige Narbe. »Mein eigenes Feuer zeichnete mich, weil ich die Not meines Prinzen und meines Prinzenreiches über alles andere stellte, auch über meine Faradhi -Eide. Ich vertraute meinem eigenen Verstand und meiner Entscheidung mehr als der Führung durch Andrade. Frag mich nicht, was geschah und wie es geschah, denn ich werde es dir nicht sagen. Aber ich habe genutzt, was ich war, um das zu bekommen, was ich für richtig hielt.« Ihrer Autorität als Prinzessin verdankte sie die Loyalität ihrer Leute, Pols wahre Herkunft geheim zu halten, doch ihr Lichtläufer-Feuer hatte Schloss Feruche und Ianthes Leiche verzehrt, nachdem Sioned Rohans Sohn an sich genommen hatte. Einem Freund hatte sie es zu verdanken, dass sie Pols Mutter nicht selbst mit Feuer getötet hatte, was den Lichtläufern strengstens untersagt war. Doch es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass sie mit ihren Gaben getötet hätte. Die Faradhi in ihr wand sich vor Scham, doch die Prinzessin wusste genau, dass solche Dinge notwendig waren.
Sie hielt Maarkens grauen Augen mit ihrem Blick stand. »Es ist eine schwierige Wahl. Und sie ist einsam. Doch sie lehrt dich etwas sehr Wichtiges: Furcht.«
»Furcht vor Andrade?«
»Nein. Furcht vor deiner eigenen Macht. Maarken, du bist ein starker Mann, und du weißt, dass deine Stärke tödlich sein kann. Du hast gelernt, im Training vorsichtig zu kämpfen, um andere nicht zu verletzen. Als Lichtläufer ist es das Gleiche, und das gilt noch mehr für jemanden, der auch ein großer Herr ist. Mit deinem Tun wirst du Vorbild für Pol und Andry und Riyan. Es wird einmal mehr von euch geben, doch du bist der Erste.«
»Was ist mit dir? Du bist Lichtläuferin und Prinzessin, also beides.«
»Ich stehe irgendwo dazwischen. Obwohl meine Familie mit Syr und Kierst verbunden ist, ist in mir kein Prinzenblut. Ich war erst Faradhi und dann Prinzessin, und das hat meine Entscheidungen immer beeinflusst. Manchmal reagiere ich als Lichtläuferin auf die eine Weise und als Herrscherin ganz anders, und beides deckt sich nicht immer mit meinen Zielen.«
»Ich glaube, ich verstehe es jetzt«, sagte er nachdenklich. »Ich kenne die Art der Macht, die ich als Krieger besitze, genau. Und eines Tages werde ich Pols Feldherr sein und eine Armee hinter mir haben. Ich kenne auch meinen Einfluss als Sohn meines Vaters, und ich weiß, wie vorsichtig ich mit dieser Macht sein muss.« Er streckte die Hände aus, sodass seine Ringe das Sonnenlicht einfangen konnten. »Die hier stehen für eine andere Art der Macht. Du hast deine Wahl bereits getroffen, Sioned. Du trägst nur Rohans Ring.«
»Die anderen sind auch noch da – wie Narben«, murmelte sie. Doch dann fuhr sie sanfter fort: »Ich wette, deine Auserwählte passt in jeder Hinsicht zu dir, Maarken. Sie ist sicher genauso begabt und wird auch eine gute Herrin für Radzyn abgeben. Ist das nicht ein Zeichen dafür, dass du die beiden Seiten bereits verknüpft hast, ob du dir nun dessen bewusst bist oder nicht? Was du vor Jahren am Faolain getan hast, hat es doch bewiesen?«
Sie sah ihm an, dass er sich daran erinnerte. Mit seinen zwölf Jahren hatte er damals erkannt, dass es militärisch notwendig war, die Brücken über den Faolain zu zerstören, und
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