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Mondlaeufer

Mondlaeufer

Titel: Mondlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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und sie hörte, dass er die Schriftstücke zusammenrollte, sie leise in ihre Lederhüllen steckte und in die Satteltaschen packte. Dass die Tür sich geräuschlos öffnete und wieder schloss, spürte sie an einem Luftzug an den Knöcheln.
    Urival kniete nieder und legte Holz nach. »Du hast gelogen. Du glaubst es doch.«
    »Er hat mich genau an den Punkt geführt, wo er mich haben wollte!« Sie trat einen Schritt zurück, als die Flammen höher schlugen. »Urival – ich habe es nicht einmal gemerkt. Er hat mich geschickt an der Nase herumgeführt!«
    »Er wird einen würdigen Herrn für die Schule der Göttin abgeben.«
    »Ja, wir alle haben ihn dazu gemacht. Besonders ich. Er ist gut, der kleine Lord Andry. Sehr gut. Wenn er hier herrscht, von meinen Zimmern und meinem Stuhl aus …« Sie sank auf ihren Stuhl zurück und schloss die Augen. »Der Göttin sei Dank, dass ich das nicht mit ansehen muss.«
    Trotz aller Privilegien durch seine Verwandtschaft mit Lady Andrade trug Andry erst vier Ringe und hatte keine Vormachtstellung in der Schule der Göttin. Offiziell war er Lehrling, wenn er auch hoffen konnte, dass er bis zum Ende des Sommers seinen fünften Faradhi -Ring erhalten würde, sodass er dann voll ausgebildeter Lichtläufer war. Der sechste würde bedeuten, dass er das Mondlicht ebenso gut verwerten konnte wie das Sonnenlicht; der siebte, dass er ohne Feuer beschwören konnte.
    Er schloss seine Zimmertür hinter sich, setzte sich aufs Bett und starrte auf seine Hände, die noch nichts von der Ehre zeigten, die ihm eines Tages gebühren würde. Doch er war aufrichtig genug, sich einzugestehen, dass er noch viel zu lernen hatte, ehe er dieser Ringe würdig war, einschließlich des achten und neunten, die er ebenfalls anstrebte. Er hatte dieses Manöver unternommen, um Andrade und Urival von den Schriften zu überzeugen. Sie hatten ihm beinahe geglaubt, doch er hatte einen Fehler begangen. Wenn er jemals echten Einfluss auf Faradh’im ausüben wollte, durfte er nicht so direkt vorgehen.
    Zum ersten Mal traute er sich, sich den zehnten Ring vorzustellen, den Goldring an seinem Ehefinger und die dünnen Ketten, die von allen Ringen zu Armbändern an seinen Handgelenken führen würden. Herr der Schule der Göttin. Herr über diesen Ort und alle Lichtläufer, über alle Prinzen und Athr’im , die die Gabe besaßen. Noch war ihre Zahl klein, doch sie würde wachsen. Er wollte sie wachsen lassen, denn er glaubte fest an Andrades Zukunftsvision.
    Andry biss sich auf die Lippen und versuchte, die Vision von zehn Ringen an seinen Fingern loszuwerden. Doch ein Teil in ihm fand, es sei eigentlich nichts Schlimmes, eine so hohe Position anzustreben. Seine Geschwister hatten da gewiss keine Schwierigkeiten. Maarken mit seinen sechs Ringen würde eines Tages Herr von Radzyn und Oberbefehlshaber der Wüste und der Prinzenmark sein. Andrys Zwillingsbruder Sorin würde beim diesjährigen Rialla zum Ritter geschlagen werden und machte kein Geheimnis daraus, dass er eine wichtige Burg haben wollte, und sein Onkel, der Hoheprinz, würde ihm sicher eine geben. Doch Andry wollte nur die Schule der Göttin. Nur dieses Leben würde ihm gerecht werden. Seine Gaben waren stärker als die von Maarken, und er hatte kein Verlangen nach Sorins Ritterkünsten. Er wollte zehn Ringe und dieses Schloss. Und das Recht, alle Faradh’im zu lenken, und das Privileg, die Prinzenreiche zu führen, wie Andrade es so lange getan hatte.
    Er hörte Schritte im Flur. Es war Zeit, zum Abendessen hinunterzugehen, doch er bewegte sich nicht von seinem Stuhl an dem kleinen Kohlenbecken fort, das sein Zimmer kaum erhellte und selten wärmte. Er fühlte die Kälte nie, denn er hatte in seiner Kindheit so viel Wüstensonne und Hitze in sich aufgenommen, dass ihn höchstens ein Winter in Snowcoves zum Zittern bringen würde. Doch er bedauerte, dass das schwache Licht ihn nicht bis spät in die Nacht lesen ließ, und er freute sich auf seinen fünften Ring. Dann würde er einen Stock tiefer ein größeres Zimmer mit einem eigenen Kamin bekommen.
    »Andry! Ich weiß, dass du da bist; ich kann hören, dass du da drinnen denkst«, rief eine wohl bekannte Stimme an der Tür. »Mach schon, sonst kommst du zu spät.«
    »Ich bin nicht hungrig, danke, Hollis«, antwortete er.
    Die Tür ging auf, und die heimliche Auserwählte seines älteren Bruders stand da. Ihre Zöpfe hingen wie zwei dunkle Sonnenstrahlen bis über ihre Taille herab. Sie schnitt ihm eine

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