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Mondlaeufer

Mondlaeufer

Titel: Mondlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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sollten. Die Widersprüche sollten jeden verrückt machen. Das ging mir auch so, bis ich herausfand, was dieses Zeichen vermutlich bedeutet.«
    »Aber wozu sollte man das alles so verschlüsseln?«, fragte Andrade. »Ist es heute nicht egal, ob dieser Rosseyn – wer auch immer er war – nun tatsächlich der Vater von Merisels Zwillingen war?«
    Andry holte tief Luft und blickte auf seine vier Ringe. »Ich glaube, es geht viel weiter als das, Herrin. Warum hat man diese Schriften zusammen mit der über Hexerei vergraben? Sie enthalten Hinweise, die uns helfen, die wirklich wichtige, gefährliche Spruchrolle zu entziffern – und sie verhindern, dass Leute, die nicht so hartnäckig sind, herausbekommen, wozu die Sprüche gut sind.«
    Andrade kehrte zu ihrem Stuhl zurück und setzte sich. Die Hände in ihren Taschen waren zu Fäusten geballt. »Zeig mir die Sternenrolle«, befahl sie.
    Andry nahm sie ehrfürchtig aus ihrer Hülle und entrollte sie über den anderen. »Die Zeichen sind einfach überall«, erklärte er. »Dieses Rezept zum Beispiel. Es heißt, es kann Gedächtnisschwund verursachen. All diese Kräuter und Wurzeln und Anweisungen. Aber anstatt etwas Wichtiges auszulassen, das die Wirkung ausmacht, fügen sie Bestandteile hinzu, die es unwirksam machen. Hier. Diese Blume, von der noch nie jemand etwas gehört hat, mit dem kleinen Zeichen darunter. Und seht Euch dies an: Anweisungen, wie man eine Salbe kocht, die eine Wunde zum Eitern bringt, anstatt sie zu heilen. Aber das Zeichen besagt wohl, dass sie überhaupt nicht gekocht werden darf! Und hier – das Rezept für ein gefährliches Gift. Damit ist es dasselbe, Herrin: Unter vielen Zutaten ist das kleine Zeichen, und ich könnte schwören, sie ergeben so nicht das Gift, sondern das Gegenmittel, sodass es ungefährlich ist, wenn jemand zufällig auf die Schriftrolle stößt! Überall, wo es gefährlich werden kann, taucht irgendwo dieser kleine Zweig auf und verrät, dass wir nicht das tun sollen, was ein argloser Leser tut, wenn er die Anweisungen befolgt.«
    »Ein eingebauter Fehler, der das Rezept wertlos macht, falls es in die falschen Hände gelangt.« Andrade war jetzt überzeugt und voller Bewunderung. »Nach dem, was du mir von Lady Merisel erzählt hast, war sie also gerissen genug, sich so etwas auszudenken. Könnt ihr euch vorstellen, wie sie sich in hohem Alter hingesetzt und alles aufgeschrieben hat, wie es in der ersten Rolle steht – und wie sie sich dabei kaputtgelacht hat, weil sie gleichzeitig dafür sorgte, dass niemand von diesem Wissen Gebrauch machen konnte, falls es einmal gefunden würde?«
    »Und der Hinweis steckt in diesen historischen Berichten«, stimmte Andry zu. »Nur so macht das alles einen Sinn.«
    »Hmm«, meinte Urival. Er war noch skeptisch. »Wir können es aber nur beweisen, indem wir ein Rezept nehmen und einmal beide Arten ausprobieren. Mit deiner Erlaubnis, Andrade, werde ich genau das tun – mit etwas, das wir leicht heilen können, natürlich.«
    Mit einem Nicken gab sie die Erlaubnis und wandte sich dann wieder Andry zu. »Lies mir einen Abschnitt vor, der nicht mit Tränken zu tun hat. Ich möchte wissen, ob das überall stimmt.«
    Andry wählte sofort ein paar Zeilen aus dem verworrenen Schriftstück aus und verriet ihr dadurch, dass er die ganze Unterhaltung auf diesen Punkt zu gelenkt hatte. »›Das Kraut Dranath kann keine größere Macht verleihen‹«, las er laut vor und begegnete dann ihrem erschreckten Blick. »Das Zeichen ist unter ›keine‹.«
    Sie wusste genau, dass er sie absichtlich hierhergeführt hatte. Sie verfluchte und bewunderte seine Geschicklichkeit, doch noch stärker war ihre Furcht. »Wenn es ›keine‹ größere Macht verleiht, dann verstärkt es sie. War das ihr Geheimnis? ›Das Kraut Dranath kann Macht vergrößern‹? Dieses verdammte Kraut, mit dem sich Roelstra damals meinen Lichtläufer zu Diensten gemacht hat?«
    Andry wand sich etwas. »Herrin – es tut mir leid …«
    Sie starrte ins Feuer. »Es versklavt, es macht süchtig und tötet – aber es hat gegen die Seuche geholfen. Und jetzt sagst du, es verleiht größere Macht.«
    »Es sieht so aus«, sagte er vorsichtig.
    »Das glaube ich nicht!«, erklärte sie. »Den Rest kannst du beweisen, wenn du willst, aber das glaube ich nicht.« Sie stand auf und drehte ihm den Rücken zu, denn sie brauchte jetzt dringend die besänftigende Wärme des Feuers statt der Kälte des Frühlingssturms. Es war eine Verabschiedung,

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