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Mondlaeufer

Mondlaeufer

Titel: Mondlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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die bei diesem Thema noch immer in ihm hochkam. Er selbst war damals wirklich noch unberührt gewesen. Er wusste nicht, welche Frau zu ihm gekommen war, und er vertraute der Gnade der Göttin, dass er es niemals erfahren würde, denn er hatte sich nicht gerade ruhmreich geschlagen. Maarken, der damals noch in der Schule gelebt hatte, hatte es erraten, obwohl er natürlich nichts Direktes dazu gesagt hatte. Aber in den folgenden Tagen hatte er wie nebensächlich die Bemerkung fallen lassen, dass es mitunter wirklich unangenehm sei, wenn man nur an seiner wirklichen Geliebten Gefallen fände. Es scheine in der Familie zu liegen. Andry hatte das richtig als Trost verstanden, dass ihm diese Erfahrung mit einer wirklich geliebten Frau sehr viel mehr gefallen würde. Schließlich sollte diese Nacht auch den Unterschied zwischen körperlichem Begehren und wahrer Liebe zeigen, und dass die Letztere unendlich vorzuziehen war. Andry vertraute darauf, dass er eines Tages so glücklich sein würde wie Maarken, sein Vater und Rohan. Doch selbst die hübschesten Mädchen an der Schule der Göttin konnten höchstens vorübergehend Bewunderung in ihm erwecken.
    Vor Kurzem hatte er leicht verwundert bemerkt, dass er sich während seiner Arbeit an den alten Schriftrollen ein wenig in die bemerkenswerte Lady Merisel verliebt hatte. Auch ihrem unbekannten Schreiber war es wohl so gegangen, obwohl sie beim Diktieren der Schriften schon an die Neunzig gewesen sein musste. Die ansonsten so unpersönlichen Schilderungen von ihr waren mit Anmerkungen wie »strahlende Augen«, »gütiges Lächeln« oder »unvergleichlicher Körper« ausgeschmückt, als hätte der Mann sich nicht beherrschen können. Selbst ohne diese Hinweise auf ihre persönliche Ausstrahlung verriet jede Zeile ihre Weisheit, ihre Machtfülle und ihre vielfältigen Interessen. Sie hatte zu fast jedem Thema viel zu sagen gehabt, und wenn ihre Bemerkungen nicht scharf waren, dann waren sie witzig – manchmal auch beides. Seine Lieblingspassage in dem, was er bisher übersetzt hatte, befasste sich mit altem Aberglauben über die Bedeutung von Zahlen. Da hieß es plötzlich:
    Es gibt vier Elemente: Feuer, Wasser, Luft und Erde. Jedes davon hat vier Erscheinungsformen, zusammen sind es zwölf verschiedene. Zwölf, das ist die Zahl eins und die Zahl zwei; addiert man sie, so gibt das drei, die Zahl der Monde. Addiert man die Zwölf und die Vier, so gibt das sechzehn. Das ist eins und sechs, also sieben, was unteilbar ist. Es heißt, wenn man alle Sterne zusammenzählt, dazu die Monde und die Sonne nimmt, dazu diese Ziffern, dann kommt eine ähnlich mystische Zahl dabei heraus. Was nur beweist, wie dämlich die ganze Sache ist.
    Andry stellte sich vor, dass sie wahrscheinlich die Eigenschaften seiner eigenen temperamentvollen und faszinierenden Mutter, der stillen, jedoch unbezähmbaren Sioned und der stolzen, mächtigen Andrade in sich vereint hatte – dazu noch einen so scharfen Verstand, dass alle drei Frauen im Vergleich mit ihr dumm erscheinen mussten. Er hatte mit trübseligem Resignieren immer gewusst, dass die Frau, die er einmal wählen würde, sich kaum mit den wichtigsten Frauen in seinem bisherigen Leben würde messen können. Seine Bewunderung für Lady Merisel half ihm da auch nicht viel.
    Er hoffte, dass seine zukünftige Frau einfach vor ihm auftauchte, wie Sioned in Rohans Leben getreten war. Er wollte so sicher sein wie seine Eltern, als sie einander zum ersten Mal gesehen hatten. Die Suche nach einer Frau selbst interessierte ihn ebenso wenig wie die Schritte, die ihm noch zu seinen Ringen fehlten. Er wusste, dass ihm diese Frau und die Ehren zustanden; falsche Bescheidenheit war unangemessen, wenn jemand sympathisch, frei, von prinzlichem Geblüt und so begabt zum Lichtläufer war wie er.
    Das Wissen, dass er auf all das noch warten musste, half da auch nicht viel.
    Der schwarzhaarige Junge kehrte zu seinem Bett im Schlafsaal zurück. Er war mit sich und dem Abend vollauf zufrieden. Er hatte sich nicht Seldges, sondern Sejast genannt, und seine Ohren waren an den neuen Namen bereits besser gewöhnt als an den alten. Er hatte alle Prüfungen bestanden, die er sich selbst gestellt hatte: Lady Andrade gegenüberzutreten, Lord Andry von Radzyn problemlos zu erkennen und sogar die, vorsichtig die Frau zu wählen, die in seiner Mannesnacht zu ihm kommen würde (obwohl Mireva das völlig überflüssig gemacht hatte).
    Segev lächelte in der Dunkelheit, als er sich an

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