Mondlaeufer
Das geht sonst nur bei Menschen. Und darum ist es anders.«
Am späten Nachmittag waren sie fertig. Flaschenweise wurde Duftöl über die Leiche geschüttet. Gemeinsam beschworen Sioned und Maarken das Feuer, um die Überreste anzuzünden. Aus den Flammen stieg ein würzig-süßlicher Geruch auf. Die Schreiber und Arbeiter kehrten erleichtert nach Skybowl zurück. Sioned, Feylin und Maarken blieben zurück und sahen zu, wie der Drache verbrannte.
Als die Paarungsschreie durch die Luft gellten, fuhren alle drei zusammen. Feylin, deren Respekt vor Drachen mit einer gesunden Furcht einherging, wurde weiß; Sioned nahm tröstend ihren Arm.
»Sie paaren sich nur. Das habt Ihr doch schon früher gehört.«
»Und ich reagiere jedes Mal gleich. Es ist lächerlich«, sagte Feylin nervös. »Ich kann alles über sie lernen, sie zählen und beobachten, sogar einen von ihnen aufschneiden, um ihn zu untersuchen. Aber wenn ich ihre Stimmen höre, dreht sich mir der Magen um.« Sie zuckte wieder zusammen und duckte sich, als ein Schwarm Dreijähriger über den Südrand des Kraters einflog. »Gütige Göttin!«
Sioned entdeckte sofort das kleine rötliche Drachenweibchen mit den goldenen Flügelunterseiten, die sie schon beim letzten Mal zu berühren versucht hatte. Die Gruppe war zum Trinken zum See zurückgekehrt; weder die Paarungsschreie noch der brennende Kadaver schienen sie zu beeindrucken. Sie waren nicht alt genug, um den Paarungsritus zu verstehen oder daran interessiert zu sein, und was den Tod anging, da war es fast so, als wäre der alte Drache bereits aus ihrem Gedächtnis gelöscht. Auch wenn es übertrieben war, den Drachen menschliche Gefühle zu unterstellen, war Sioned darüber dennoch betrübt.
Sie erinnerte sich an das Versprechen, das sie Rohan gegeben hatte, und sah Maarken an. Er gab den Blick nachdenklich zurück und nickte dann. Sioned vergewisserte sich, dass es Feylin gut ging, und ging zu ihrem Neffen hinüber.
»Sichere mich«, sagte sie nur und spürte sofort das machtvolle Lichtweben seines ausgebildeten Faradhi -Verstandes. Seine Farben – Rubin, Bernstein und Diamant – setzten sich deutlich von ihrem eigenen Muster aus Smaragd, Saphir, Bernstein und Onyx ab. Die beiden Gewebe ergänzten sich, wenn ihres auch wunschgemäß dominierte.
Doch das Strahlen ihrer Farben war nichts gegen die wirbelnden Schattierungen, in die Sioned plötzlich hineingezogen wurde, als sie vorsichtig den Drachen streifte. Viele Regenbogen explodierten in ihren Gedanken, und sie kam bei dem Aufprall ins Schleudern, denn jede Farbe wiederholte sich in Hunderten von Abstufungen, von denen jede für einen Klang, eine Vorstellung, ein Bild, eine Erinnerung oder einen Instinkt stand. Die Fülle war einfach überwältigend und ließ sich unmöglich in geordnete Bilder fassen. Das Farbenmeer brachte sie ins Taumeln; die Informationen, die daran geknüpft waren, ließen ihren Verstand beinahe zerspringen. Durch den Schwall der Farben spürte sie gerade noch, wie das Drachenweibchen sich von ihr zurückzog, dann wurde sie ohnmächtig.
»Sioned!« Maarken schlang die Arme um sie, um sie aufrecht zu halten. Ihre aschgrauen Wangen und der bewusstlos herunterhängende Kopf entsetzten ihn. Dank seiner eigenen Stärke konnte er ihre Farben im richtigen Muster halten. Er verstärkte sie, ehe sie das Bewusstsein verlor. Der Schattentod bedrohte sie zwar nicht, doch ihre tiefe Bewusstlosigkeit machte ihm Angst.
Zitternd und mit weißem Gesicht half ihm Feylin, Sioned auf den Boden zu legen. »Maarken, was um alles in der Welt ist geschehen?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe nichts gesehen und den Drachen auch nicht selbst berührt. Ich weiß nicht, was sie gesehen oder gespürt hat.« Er hob ihren Kopf mit einer Hand an und schlug ihr mit der anderen leicht auf die Wangen. »Sioned!«
»Es kann nicht so schlimm sein, oder? Sie hat nicht so geschrien wie beim letzten Mal – und der Drache auch nicht.« Feylin hakte eine Wasserflasche von ihrem Gürtel ab – kein Wüstenbewohner ging jemals ohne sie los, egal wo er war – und ließ Sioned trinken. Die Prinzessin hustete etwas und schluckte, doch es war nur ein Reflex, sonst regte sie sich nicht.
Maarken sah einen Schatten und blickte nach oben. Die anderen Drachen waren fortgeflogen, doch das rötliche Drachenweibchen war zurückgeblieben. Die Unterseiten seiner Flügel leuchteten, als es über dem Scheiterhaufen kreiste. Es rief leise, es war wie ein beunruhigtes Wimmern, und
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