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Mondlaeufer

Mondlaeufer

Titel: Mondlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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halb verrotteten Holzstufen quietschen und knarren und schwanken. Die Hitze und der Rauch von der Feuerstelle verstärkten den Gestank noch; sie hielt ihr Taschentuch vors Gesicht und atmete dessen schweres Parfüm ein.
    »Hier drin, Herrin.« Der Mann öffnete gewaltsam eine große Tür. Kiele holte tief Luft, um ihre Nerven zu beruhigen, und bereute dies sofort, weil sie selbst durch das Seidentuch vor ihrer Nase den Schweißgeruch des Mannes einatmete. »Er weiß nicht, dass Ihr kommt«, fügte er hinzu.
    »Gut. Lass uns allein. Mir wird nichts geschehen.« Ihr Blick blieb an der großen, schlanken Gestalt hängen, die mit dem Rücken zur Tür im Schatten des Kerzenlichts stand. Die rostigen Türangeln quietschten, und Kiele war allein mit dem Mann, der ihr Bruder sein mochte – oder auch nicht.
    »Er hat recht. Ich wusste nicht, dass Ihr kommen würdet. Aber es wurde auch langsam Zeit!«
    Sie wurde starr vor Zorn, ließ sich dann aber zu einem Lachen herab und wedelte mit dem Taschentuch. »Sehr beeindruckend! Fast wie mein Vater. Seine Arroganz scheint Euch in den Knochen zu stecken. Zeigt mal her, ob Ihr ihm ähnlich seht. Hier herüber, ans Licht.«
    »Unser Vater«, stellte er klar, drehte sich um und trat vor. Der schwache Schein der Kerze auf dem Tisch beleuchtete ein Gesicht mit hohen Wangenknochen und sinnlichen Lippen. Seine eisigen Augen glichen grünen Kristallen. Er grinste ohne Fröhlichkeit und unterstützte sie kein bisschen, als er näher kam und sich vor ihr aufbaute. Sie kämpfte gegen Erinnerungen aus ihrer Kindheit, wo ihr Vater dasselbe getan hatte, und gegen das Entsetzen, das seine Wutanfälle bei ihr hervorgerufen hatten. Sie war kein Kind mehr. Sie war eine erwachsene Frau – und sie hatte die Macht, diesen Mann siegen oder stürzen zu sehen.
    »Was denkst du, Schwesterchen?«
    Sie fing sich wieder, funkelte ihn an und befahl: »Setzt Euch und hört mir zu. Ihr mögt sein, wofür Ihr Euch ausgebt – oder auch nicht. Aber, bei der Göttin, Ihr werdet mir genau zuhören und meine Anordnungen befolgen. Falls Ihr Euer Ziel erreichen wollt.«
    Er lachte. »Womit wir noch etwas gemeinsam haben.« Er zog den zweiten Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich, wobei er seine langen Beine ausstreckte.
    »Sitzt gerade. Die Beine übereinanderschlagen, den linken Knöchel auf das rechte Knie.«
    Er gehorchte, noch immer grinsend. Kiele löste ihre Finger von dem Seidentuch und ließ ihre gefalteten Hände auf den Tisch gleiten. Mit einer Schulterbewegung warf sie den Umhang ab und erreichte dadurch etwas Linderung von der drückenden Hitze. Sie sah den jungen Mann eine Weile schweigend an. Sorgsam verbarg sie dabei ihre wachsende Erregung. Jetzt, wo sie über das eisige Grün seiner Augen hinweg war, kam ihr die Ähnlichkeit nicht mehr ganz so frappierend vor. Das Kinn war etwas anders, und der Mund war zu breit. Es gab auch andere Unterschiede. Doch die Größe stimmte, und Roelstra war als junger Mann ebenfalls mager gewesen.
    »Es wird gehen«, sagte sie schroff. »Mit Unterweisung natürlich und mit einer Spülung, um Euer Haar leicht rötlich zu tönen. Palila hatte kastanienbraunes Haar. Eures ist zu dunkel.«
    »Wie das unseres Vaters«, hielt er ihr entgegen.
    »Eine rötliche Tönung wird an sie erinnern – und darum geht es schließlich. Und nun erklärt mir, warum Ihr für die Reise so lange gebraucht habt.«
    »Ich bin planmäßig und rechtzeitig aufgebrochen – wie es die Frau gesagt hat, die sich für meine Tante hält.« Er grinste. »Sie ist nur die Tochter von Leuten, die sich für meine Großeltern halten, ich bin aber nicht mit ihnen verwandt. War es ihr Geld oder Eures, das mir geschickt wurde, damit ich mich überreden lasse?«
    »Mit Unverschämtheiten kommt Ihr nicht weiter«, fuhr Kiele ihn an. »Sagt mir endlich, warum Ihr so spät dran seid!«
    »Mir sind irgendwelche Reiter gefolgt.«
    »Wer?«
    »Ich ließ sie nicht lange genug am Leben, um mich mit ihnen zu unterhalten«, entgegnete er. »Sie überfielen mich bei Nacht zu viert mit gezogenem Messer.«
    »Wie sahen sie aus?«
    »Bauern. Einer plapperte irgendwas über jemanden, der mir helfen würde, das Prinzlein herauszufordern. Sie schwatzten von einer Macht, die stärker sei als die der Faradh’im .« Er zuckte mit den Schultern. »Ich brauche keine Hilfe. Von niemandem. Ich bin bereit, mein Erbe sofort anzutreten.«
    »Ihr hättet sie ausfragen sollen!«
    »Was sollte ich tun? Sie ausquetschen, während sie

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