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Mondlaeufer

Mondlaeufer

Titel: Mondlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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letzten beiden Tage mit Feylin verbracht, die damit beschäftigt war, den Drachen zu sezieren. Anfangs war beiden Lichtläufern bei all dem Blut etwas übel geworden. Doch dies flaue Gefühl wich bald der Faszination. Und es war auch etwas Einmaliges, wie die Knochen zueinander passten, wie die Muskeln so elegant beim Fliegen zusammenspielten. Inzwischen rebellierten ihre Mägen nicht mehr.
    Feylin hatte ungeheuren Respekt vor Drachen und bedauerte zutiefst, dass sie diesen Leichnam schänden musste. Doch ihre Neugier war stärker. Sie diktierte zwei Schreibern, was sie entdeckte. Beide verließen sich jedoch darauf, dass Sioned aus dem Gedächtnis ergänzte, wenn sie gelegentlich etwas ausließen. Maarken fertigte mit viel Geschick Zeichnungen an, während Feylin diktierte. Seine Darstellungen des ausgeklügelten Zusammenspiels der Muskeln und Knochen eines Flügels waren kleine Kunstwerke. Ein paar Diener waren dabei, aus Felsbrocken ein Podest zu errichten, auf dem die sterblichen Überreste des Drachen verbrannt werden sollten. Wenn Feylin sie fertig beschrieben und Maarken seine Zeichnungen beendet hatte, wurden sie dorthin geschleppt.
    »Das Gehirn ist doppelt so groß wie unseres, jedoch mit weniger Windungen«, berichtete sie, während sie die graue Masse in beiden Händen hielt. »Außerdem ist es hinten, wo es in die Wirbelsäule übergeht, viel größer und in den vorderen Lappen weniger entwickelt …«
    »Halt«, protestierte Sioned. »Wo habt Ihr je das Gehirn eines Menschen gesehen?«
    Feylin räusperte sich und sah schuldbewusst drein. »Tja …, meine Mutter war Ärztin. Sie wollte wissen, was in uns vorgeht.«
    »Aber wie …?«
    »Eines Tages fand sie in den Bergen einen Toten … Niemand wusste, wer er war, niemand vermisste ihn. – Wir haben ihn hinterher mit allen Ehren verbrannt«, schloss sie trotzig.
    Maarken sah mit großen Augen von seinem Skizzenblock hoch. Sioned schluckte vernehmlich, schüttelte den Kopf und meinte leise: »Entschuldigt, dass ich gefragt habe. Weiter, Feylin.«
    Gehirn, Augen, Zunge, Zähne, der Aufbau der Nase – alles wurde vermessen, den Schreibern erklärt und dann Maarken zum Zeichnen vorgelegt. In den letzten beiden Tagen hatte Feylin den gewaltigen Leichnam systematisch untersucht: Beine, Magen, Lunge, Flügel, Brustraum und Herz. Einem der Schreiber, der bei der Untersuchung des Mageninhalts die genaue Auflistung der letzten Mahlzeit des Drachen geschrieben hatte, war es bei der anschließenden ausgiebigen Passage über die Augen doch zu viel. Er warf Pergament und Feder zu Boden, taumelte zum See und musste sich gewaltig übergeben. Sioned nahm seinen Platz ein, schrieb, so schnell sie konnte, und sagte sich dabei immer wieder, dass eine Höchste Prinzessin nicht vor allen Leuten aufgab.
    »Maarken, Ihr seid so grün wie ein schwangeres Mädchen«, sagte Feylin plötzlich.
    »Es gibt solches Blut und solches Blut«, meinte er. »Das hier stammt nicht von einem Kampf.«
    »Einen Drachen studienhalber zu zerlegen soll schlimmer sein, als Feinde abzuschlachten?«
    »Es ist etwas anderes«, sagte er störrisch.
    »Es stimmt schon irgendwie«, stellte Sioned fest. »Wie würde es Euch gefallen, wenn jemand Euch in Eure Einzelteile zerlegte?«
    »Es würde mir eine ganze Menge ausmachen, wenn ich noch am Leben wäre! Aber wenn ich tot bin? Schließlich brauche ich meinen Körper nicht mehr, wenn ich fort bin.« Feylin legte den letzten Teil des Schädels vor Maarken auf die Decke, streckte sich und hockte sich zu Sioned. »Auf jeden Fall konnte ich mir diese Gelegenheit einfach nicht entgehen lassen.«
    »Aber es ist so …« Sioned hob hilflos die Schultern.
    »Wie sollen wir sonst etwas erfahren? Schließlich war meine Mutter nicht die einzige Ärztin, die menschliche Leichen untersucht hat. Spürt ein toter Körper die Flammen, die wir um ihn herum entzünden? Macht es ihm etwas aus, wenn wir in ihm herumstochern?«
    »Trotzdem, ich möchte nicht, dass irgendjemand so etwas mit mir macht«, erklärte Sioned.
    »Wenn wir dabei nun aber etwas von diesem Drachen lernen, wodurch wir sein ganzes Volk besser verstehen?«
    »Oh, ich widerspreche Euch nicht, Feylin. Und ich habe freiwillig geholfen. Ich fürchte nur, ich kann das Ganze nicht so gelassen ertragen wie Ihr.«
    »Ich glaube, ich weiß warum«, meinte Maarken. »Es ist wirklich nicht viel anders, als irgendein anderes Tier zu zerlegen, das wir essen wollen. Aber Sioned und ich haben Drachenfarben berührt.

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