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Mondlaeufer

Mondlaeufer

Titel: Mondlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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dann stieß sie hinunter, um genauer hinzusehen, und stieg dann wieder hoch. Jammernd flog sie über ihnen enge Kreise.
    »Sie hat Angst um Sioned«, flüsterte Feylin. »Kann das sein?«
    Schließlich bewegte sich Sioned und richtete sich benommen auf. Mit einer Hand machte sie eine schwache Geste. Dann schlug sie die Augen auf.
    »Wie geht es dir?«, fragte Maarken besorgt.
    »Ich spüre meine Kopfschmerzen bis in die Zehenspitzen. Maarken …«
    »Du erinnerst dich wahrscheinlich an nichts, oder?«
    »Müsste ich mich an etwas erinnern?« Sioned runzelte die Stirn.
    »Ich weiß nicht. Ich bin nicht weit genug mitgekommen, um es selbst zu sehen. Aber du hast den Drachen berührt, Sioned. Du musst es geschafft haben.«
    »Wirklich?« Sie setzte sich auf und zog die Knie an. »Ich weiß, dass ich das vorhatte und dass ich dich bat, mich zu sichern, aber danach …«
    »Ich finde, wir sollten Euch lieber in die Burg und ins Bett bringen«, sagte Feylin.
    Sioned stöhnte, als sie ihr beim Aufstehen halfen. »O Göttin! Ich komme mir vor, als hätte ich sämtliche Herbststürme der Wüste hinter mir.« Als plötzlich das Drachenweibchen schrie, sah sie nach oben. »Sie ist immer noch da!«
    Sie sahen, wie das Tier tief über den See flog, nahe genug, um Sioned anzusehen und sie aus großen, dunklen Augen zu betrachten. Noch einmal trompetete es hinaus, einen einzigen, silberhellen Ton, der im Krater herumlief, als das Weibchen in Richtung Wüste davonflog.
    Feylin tauschte einen Blick mit Maarken und sagte: »Ich habe es ihrer Stimme angehört.«
    Er nickte. »Ich glaube, ich habe es auch in ihren Augen gesehen. Sie ist froh, dass Sioned in Ordnung ist. Jetzt kann sie zu den anderen zurück.« Er betrachtete seine Tante nachdenklich. »Ganz gleich, was zwischen euch beiden vorgegangen ist – ich würde sagen, du hast eine neue Freundin.«

Kapitel 11
    Im Jahre 701, dem Jahr der Seuche, hatte man aus der Küstenresidenz der Herren von Waes ein Krankenhaus gemacht. Um Mittsommer war sie zum Mausoleum geworden. Die Toten lagen verwesend in den Zimmern und Gängen, denn niemand wagte es, das Gebäude zu betreten und sich dadurch vielleicht anzustecken. Eine der letzten Anordnungen des alten Lord Jervis war der Befehl gewesen, den Palast zu verbrennen, um sowohl die Toten ehrenvoll zu bestatten als auch einer Ausbreitung der Seuche auf die Stadt vorzubeugen. Am Tag des Feuers war er gestorben, und man hatte seinen Leichnam zu der schönen, alten Residenz am Meer getragen, damit er dort mit dem Palast und seinen Leuten verbrennen konnte.
    Seine Witwe war mit dem Rest der Familie in die Stadt gezogen, als die Gefahr gebannt war. Anschließend hatte Lord Lyell mit der Zeit Häuser auf beiden Seiten ihres neuen Wohnsitzes erworben, Mauern niedergerissen, um Räume und Gärten zu verbinden, neue Trennwände, verwinkelte Treppen und Rampen eingefügt, um die verschiedenen Geschosse miteinander zu verbinden. Die Residenz wurde ein bewohnbarer, wenn auch etwas eigenwilliger Komplex aus etwa dreißig Räumen auf fünf verschiedenen Ebenen. Sie war weder so elegant noch so prunkvoll, wie der Palast am Meer gewesen war, doch zu ihrer Hässlichkeit gesellte sich ein – ganz entschiedener – Vorteil, jedenfalls in den Augen von Lady Kiele. Es gab mehr Ausgänge, als man überschauen konnte, und das passte ihr ausgezeichnet.
    Sie verließ das Haus durch solch eine Seitentür aus einer ehemaligen Küche, die nun als Vorratskammer benutzt wurde, und zog gegen die abendliche Kühle der Brochwell-Bucht einen schweren Mantel um sich. Niemand sah, wie sie durch den rückwärtigen Garten und das Tor schlüpfte, das auf eine enge Gasse führte. Sie lief eine Weile hinter den Häusern reicher Kaufleute und Hofbeamten entlang, durchquerte dann einen Park und bewegte sich rasch auf das Hafenviertel zu. Ihr Ziel war ein unauffälliges Haus in einer faulig stinkenden Seitenstraße. Ihre alte Amme Afina hatte das Haus für sie gemietet, und der Mann an der Tür wusste, dass sie kommen würde.
    »Herrin«, grüßte er sie mit rauer Seemannsstimme und verbeugte sich ungelenk, als er sie einließ. »Er ist oben. Mag es gar nicht, Herrin.«
    Sie zuckte mit den Schultern und wandte den Blick von ihm, dem verkommenen Zimmer und vor allem von der Frau mit den fettigen Haaren ab, die am Herdfeuer saß und herausfordernd ihre Goldstücke zählte. Kiele ging über den schmutzigen Boden zur Treppe. Der Mann begleitete sie, und ihr doppeltes Gewicht ließ die

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