Mondlaub
Glück würden die Christen die Bewohner von Almeria und Guadix tatsächlich einige Zeit lang schonen, lang genug, damit sie sich einigermaßen erholt mit dem Rest des Reiches erheben konnten, wenn al Zaghal an der Spitze frischer Truppen (und mit Granada sicher hinter sich) gegen die Christen zog, sobald sie es am wenigsten erwarteten.
Layla war verwirrt von al Zaghals Verhalten in den Wochen, nachdem Yahia Alnayar nach Baza zurückgekehrt war und er sich darauf vorbereitete, Guadix zu verlassen. Nach seinem Entschluss zur Kapitulation hatte sie eigentlich ein dumpfes Brüten, unterbrochen von gelegentlichen Wutanfällen, erwartet.
Stattdessen war er so ausgeglichen wie selten. Das genügte, um sie argwöhnisch zu machen. Schließlich entschied sie sich, ihn zu fragen.
»Onkel«, sagte sie eines Tages, als sie ihm heiße Schokolade servierte, beiläufig, »Ihr habt noch niemandem erzählt, wo Ihr Euch niederlassen werdet, wenn Ihr Guadix verlasst.«
»Ich habe meine Gründe.«
»Das wird sich Fernando von Aragon auch denken, falls er hier Spione hat, was sehr wahrscheinlich ist. Ihr seid so gut gelaunt, dass er sich fragen wird, warum.«
»Ich - bin - nicht - gut - gelaunt«, sagte al Zaghal ungehalten und betonte jedes einzelne Wort. »Ich trage mein Schicksal lediglich mit der Fassung, die der Islam von uns verlangt. Es stand so geschrieben.«
»Gewiss. Und wo lasst Ihr Euch nieder?«
Er setzte seine Schokolade ab und hieb sich mit der Faust auf sein linkes Knie. »Bei Iblis und allen Dschinn, du bist eine Landplage, Mädchen! Wenn du es unbedingt wissen willst, ich sehe meinem Schicksal deswegen so gefasst entgegen, weil ich vor der erfreulichen Aussicht stehe, den Ort meiner Geburt wiederzusehen.«
Layla starrte ihn ungläubig an. Es freute ihn offensichtlich, sie einmal sprachlos zu sehen, denn er wartete noch etwas, bevor er sich dazu herabließ, ihr großmütig mitzuteilen: »Muhammad hat mir die Gastfreundschaft der Alhambra angeboten. Somit hat Allah in seiner Weisheit es so gefügt, dass ich den Abend meines Lebens dort verbringe, wo es begonnen hat.«
Sie bezweifelte sehr stark, dass ihm irgendjemand diese Geschichte abnahm. Muhammad mochte imstande sein, seinem geschlagenen Rivalen Obdach anzubieten, doch al Zaghal wäre nie und nimmer dazu fähig, so ein Almosen anzunehmen. Das ergab alles keinen Sinn.
»Für einen Fürsten von Granada«, sagte Layla laut, »seid Ihr ein erbärmlich schlechter Lügner.«
Er schaute sie von der Seite an. »Tratsch es nicht überall herum«, sagte er kurz.
Da erst erkannte sie, was er ihr, wenn auch in Bruchstücken, anvertraut hatte, und wie groß das Vertrauen sein musste, das er in sie setzte.
Dicht vermummt in die gefütterten Umhänge und Pelze, die eine winterliche Reise durch die Berge erforderlich machte, brachen al Zaghal und sein Gefolge auf. Es würde keine formelle Übergabe stattfinden, darauf hatte al Zaghal bestanden, und die christlichen Könige hatten schließlich auch keinen so großen Wert darauf gelegt. Es genügte ihnen, Guadix in Besitz zu nehmen, und Layla ahnte, dass sich ihr Heer in unmittelbarer Nähe befinden musste.
In den Dörfern, durch die sie zogen, wurde al Zaghal oft genug erkannt, aber in der Regel mit Gleichgültigkeit, manchmal mit ein paar schwachen Zurufen und hin und wieder auch mit offenen Verfluchungen empfangen. Der Krieg dauerte inzwischen viel zu lange und hatte einen viel zu hohen Preis gefordert, als dass die Leute noch zu Jubel über irgendein Heer imstande gewesen wären. Er dauerte auch viel zu lange, als dass es den Soldaten noch irgendetwas ausgemacht hätte.
Ob es al Zaghal etwas ausmachte, wusste Layla nicht. Ihrer Meinung nach war er jedoch immer noch von der beneidenswerten unbedingten Gewissheit, im Recht zu sein, beseelt, die ihn sein ganzes Leben lang getragen hatte. Vielleicht, dachte seine Nichte, war diese Unbedingtheit auch ein Fluch.
Granada, die Hauptstadt, lag nicht mehr allzu weit entfernt, als es geschah. Sie befanden sich immer noch in den Bergen. Es handelte sich um die Taktik, die al Zaghal selbst so gerne gewählt hatte - ein feindliches Heer in einer Schlucht einzuschlie ßen. Nur dass auf den Hängen diesmal die Christen standen - eine endlose, stählern schimmernde Schlange, die sich um ihn und seinen Trupp zusammenzog.
Einer von al Zaghals Hauptleuten schrie lauthals in gebrochenem Kastilisch: »Was wollt ihr? Unser Herr hat Frieden mit euren Königen geschlossen!« Durch die
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