Mondlaub
»Vielleicht lehrt es ihn eine Lektion über Manieren.«
Unterdessen war Tariq zu Tadsch-al-Muluk gegangen. Er stand vor ihm, legte vorsichtig eine Hand an seinen muskulösen Hals, sprach leise auf ihn ein, um ihn zu beruhigen, wie er es gelernt hatte. Der Hengst war in bester Verfassung, sein Fell glänzte wie Seide. Bei Tariqs Berührung schüttelte er sich und schnappte nach ihm. Muhammad trat zu Tadsch-al-Muluk und hielt ihn fest, damit Tariq aufsteigen konnte. Als er im Sattel saß, sagte Tariq kühl: »Danke, aber ich brauche keinen…«
Weiter kam er nicht. Muhammad ließ los. Und Tadsch-al-Muluk brach aus.
Er keilte nach hinten aus, versuchte, Tariq über seinen Kopf zu werfen; er tänzelte, bäumte sich auf, raste über den ganzen Platz. Alle anderen Anwesenden waren längst zurückgewichen; Layla und ihre Mutter standen in stummem Entsetzen auf der Mauer. Da Tariq nicht sofort abgeworfen wurde, hoffte Layla verzweifelt, dass es ihm gelingen würde, Tadsch-al-Muluk tatsächlich in seine Gewalt zu bringen.
Aber er war erst zehn Jahre alt und kein ebenbürtiger Gegner für diesen Hengst. Als das Pferd ein weiteres Mal nach hinten auskeilte, stürzte Tariq und flog über seinen Kopf hinweg auf den Platz. Dort blieb er liegen und rührte sich nicht. Layla hielt es nicht länger auf ihrem Beobachterposten. Sie stürzte die nächste Treppe hinunter und rannte zum nächstgelegenen Tor.
Bis sie bei der Sabika angelangt war, ging es Tariq wieder so gut, dass er sich aufsetzen konnte. Er hatte sich, so stellte sich später heraus, das linke Bein gebrochen, war aber ansonsten unverletzt.
»Das war eine der größten Dummheiten, die du je gemacht hast«, sagte Layla streng zu ihm, dann fiel sie ihm um den Hals.
»Nein«, erwiderte Tariq, immer noch ein wenig atemlos, »das war die allergrößte.«
»Das war Mord«, sagte eine Stimme hinter ihnen. Layla drehte sich um und erblickte ihre Mutter. Nur Isabels eiskalte Augen waren zu sehen; der Rest ihres Gesichtes war verhüllt, was Layla sofort daran erinnerte, dass sie vergessen hatte, sich ebenfalls zu verschleiern. Sie war jetzt zehn, und es waren nicht nur Familienmitglieder anwesend.
Isabel ging auf Muhammad zu, bis sie nur noch etwa eine Armlänge von ihm entfernt war. Dann rief sie laut, dass man sie noch in der Zitadelle hören konnte: »Abu Abdallah Muhammad, Ihr habt das mit Absicht getan. Ich klage Euch des Mordversuchs an meinem Sohn an. Für dieses Verbrechen werdet Ihr bezahlen!«
Muhammad sagte leise etwas zu ihr, aber keiner der Zwillinge, die ihre Mutter in ihrem Zorn kaum wieder erkannten, konnte es verstehen, denn nach einer Schrecksekunde hallte der ganze Platz vom erregten Protest der jungen Männer wider. Einige allerdings äußerten Zweifel. Die Feindseligkeit, die in der Luft lag, war für alle Anwesenden spürbar.
Isabel bedeutete Layla, Tariq beim Aufstehen zu helfen und ihn zu stützen. Dann zog sie sich mit den Zwillingen zurück, bis in ihre Gemächer, und verbarrikadierte sich dort, da sie, wie sie erklärte, Alscha und ihrem Sohn einen weiteren Anschlag zutraute. Das war die Lage in der Alhambra, als Abul Hassan Ali mit al Zaghal und der Nachricht zurückkehrte, dass der Krieg nun unmittelbar bevorstünde.
Abul Hassan Ali hatte bei seinem Zug zur Grenze festgestellt, dass die Kastilier diesmal nicht nur eines, sondern gleich mehrere Dörfer überfallen und sich nicht auf das Ausplündern beschränkt, sondern alle Häuser in Brand gesteckt und die Einwohner niedergemetzelt hatten.
Das erforderte einen Gegenschlag, der diesen an Härte übertraf und den Bauern in Zukunft die Sicherheit verschaffte, die sie brauchten, zumal im Winter.
Also entschied sich Ali, kein Bauerndorf, sondern die kastilische Grenzfestung Zahara, von der die Soldaten gekommen waren, zu überfallen. Da nun schon seit Jahren Feindseligkeiten hin und her gingen, waren die Christen selbstverständlich auf der Hut, aber sie rechneten nicht damit, dass der Emir ausgerechnet während eines Schneesturms und mitten in der Nacht angreifen würde.
Als der Tag anbrach, war Zahara in Alis Hand. Er ließ einen Teil seiner Soldaten zurück, um die Festung zu halten, und schickte nach al Zaghal mit der Bitte um Verstärkung. Al Zaghal handelte rasch, und so kam es, dass die beiden Brüder mit einer Reihe christlicher Gefangener in der Hauptstadt einzogen, in dem Bewusstsein, dass der lange verzögerte Krieg nun begonnen hatte.
»Es war Absicht«, sagte die zweite
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