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Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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sein, doch sie bemühte sich, Layla die Vorzüge der christlichen Zivilisation vor Augen zu führen. Daher erwirkte sie die Erlaubnis, das Mädchen zu einem Ausflug nach Sevilla mitnehmen zu dürfen. Es galt, beim Tuchweber und auf dem Markt einiges zu besorgen. Letzteres erledigte der Verwalter, welcher die Damen begleitete, und Doña Maria konnte so ihrem Schützling die Stadt zeigen, denn dass Don Sancho Ximenes de Solis und sein Kastell kein anziehendes Beispiel boten, wusste sie selber.
    Der Alcazar von Sevilla stammte noch aus der Zeit des Kalifats, doch er war erst vor etwa hundert Jahren von granadischen Künstlern fast zur Gänze neu gestaltet worden; Layla entdeckte, dass sie erleichtert darüber war, es nur von außen sehen zu müssen. Sie wollte nicht mehr durch nutzlose kleine Blitze in der Düsternis, die sie umgab, an ihre verlorene Heimat erinnert werden.
    Zu ihrer Überraschung beeindruckte sie die Kathedrale, in die Doña Maria sie führte, zutiefst. Sie hatte nie zuvor eine christliche Kirche in dieser Größe gesehen, und die erhabene Strenge der Formen, die Pfeiler, die riesigen Spitzbögen, die Fenster mit ihrem bunten Glas waren unbestreitbar schön. Das erste Kruzifix, das sie dort erblickte, rief in ihr ein gewisses Schuldbewusstsein wach; sie wusste sehr wohl, dass ihre Taufe, auch wenn sie unfreiwillig erfolgt war, in den Augen jedes rechtgläubigen Moslems ein Akt der Schande war.
    Doch die Weisungen des Propheten zu befolgen, so gut sie es eben konnten, hatte keinem der Zwillinge geholfen - Tariq war tot und sie im Exil. Das brachte Layla zwar nicht dazu zu glauben, dass der Prophet Isa ben Miriam der Sohn Gottes gewesen war, doch mittlerweile war sie bereit zuzugeben, dass nicht alles im christlichen Teil von al Andalus verabscheuenswert war.
    Sie folgte Doña Maria nicht unfreiwillig auf den Markt, wo der Verwalter auf sie wartete, und stellte für sich fest, dass sich die feilschenden Händler nicht allzu sehr von ihren Genossen in Granada unterschieden. Vor zwei Männern, die in ihren Händen Holzkreuze mit Fäden hielten, an denen merkwürdige Gliederfiguren hingen, blieb sie stehen.
    »Was ist das?«, fragte sie ihre Duena neugierig.
    »Aber Doña Lucia, habt Ihr noch nie Puppenspieler gesehen?«, gab Doña Maria überrascht zurück. Eine Schar von Kindern hatte sich um die Schausteller versammelt, zu denen ein dritter Mann gehörte, der soeben an einem Instrument zupfte, das der qitar nicht unähnlich war, wie Layla fand. Stumm schüttelte sie den Kopf und schaute fasziniert auf die seltsamen Gestalten.
    Eine der Puppen trug etwas, das einer der Rüstungen glich, die sie auf ihren Erkundungsgängen durch die Burg des alten Mannes gesehen hatte, die andere war in vielfarbigen, grellbunten Flitter gekleidet und schwarz angemalt. Der Instrumentenspieler begann nun zu singen und die Puppen verbeugten sich.
    »Hört die Ballade vom Cid Campeador, des Ritters ohne Furcht und Tadel, unbesiegt im Kampf, siegreich in der Liebe, treu seinem König in allen Gefahren, Retter der Unschuldigen…«
    Doña Maria beobachtete Layla, die sich zu den Kindern gesellt hatte, und stellte für sich fest, dass die ernste, frühreife Art des Mädchens sie ganz hatte vergessen lassen, wie jung es doch eigentlich noch war. Wie jung… wie alt war Lucia eigentlich?
    Erschrocken erkannte die Duena, dass sie es nicht wusste. Sie versuchte, sich auf das Jahr zu besinnen, in dem Isabel entführt worden war, und kam zu dem Ergebnis, dass Isabels Tochter nicht älter als elf oder zwölf Jahre sein konnte. Wahrscheinlich jünger, überlegte Doña Maria, während sie das Mädchen beobachtete, das zum ersten Mal wie ein Kind unter Kindern wirkte, die gebannt den graziösen Bewegungen der Puppen und dem Lied des Sängers folgten.
    Dieser war dazu übergegangen, den Kampf des Cid gegen den schurkischen König der Mauren zu schildern, und Doña Maria erwartete beunruhigt, dass ihr Schützling sich nun von dem Spiel abwenden würde. Doch Layla schaute den Puppen, die aufeinander einschlugen, weiter aufmerksam zu, und die Duena atmete auf. Das Mädchen hatte noch nie so entspannt oder glücklich gewirkt. Konnte es sein, dass sie allmählich ihre bedauerliche Vergangenheit vergaß?
    Doña Maria hegte diese Hoffnung, bis das Spiel zu Ende war und Layla wieder zu ihr kam. Munter meinte sie: »Das war sehr lustig.«
    »Lustig?«, fragte Doña Maria irritiert. Sie selbst hatte die Abenteuer des Cid als kleines Mädchen immer

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