Mondlaub
nette Mann hat dich hergebracht«, antwortete er mit größ ter Selbstverständlichkeit, stellte seine Lampe ab, kletterte auf ihr Bett und ließ sich neben ihr nieder. »Ein Glück, dass Doña Maria gerade nicht hier war. Die hat sich schon genug erschreckt, als sie dich so im Bett gefunden hat. Du hast den ganzen Tag so dagelegen und am Schluss fand ich’s langweilig. Außerdem kann ich nicht schlafen. Lässt du mich bei dir übernachten, Layla - bitte?«
Mit einem Aufblitzen seines natürlichen Talents zum Unruhestiften fügte er hinzu: »Dann erzähle ich Doña Maria auch nicht, dass du den netten Mann so gut kennst.«
Layla nickte stumm, was ihn in Hochstimmung versetzte. Jetzt war er sicher, etwas gefunden zu haben, mit dem er sie bei gegebener Gelegenheit erpressen konnte, und das wusste sie. Aber während sie zur Seite rückte, wurde ihr klar, dass es keine weiteren Gelegenheiten mehr geben würde. Wenn sie Abraham Seneor überzeugt hatte, würde er sie mitnehmen, und einmal in Granada, konnte sie nie wieder zurückkehren, denn sie hatte nicht die Absicht, zu den Kastiliern nach Malaga zu reisen.
Layla schaute Suleiman an, plötzlich verunsichert, denn was sie dabei empfand, lag gefährlich nahe an Bedauern. Dann fiel ihr etwas auf, und ihr stockte der Atem. Sie griff nach seinem linken Handgelenk und hielt es hoch. Ganz deutlich zeigte sich dort eine kreisförmige, kaum verkrustete Wunde.
»Der nette Mann hat mich versprechen lassen, dass ich dir nichts davon erzähle«, sagte Suleiman schuldbewusst.
»Ja«, antwortete sie langsam. »Das kann ich mir denken.«
Abraham Seneor schien ein Freund von schnellen Entschlüssen zu sein. Als Layla am nächsten Tag zu ihm kam, hatte er bereits Reittiere und eine kleine Eskorte für sich und seine Begleiter organisiert und sagte ihr, sie würden bei Morgengrauen aufbrechen. Er hatte sogar daran gedacht, ihr die Kleidung eines jungen Juden zu besorgen, in der sie reisen konnte.
»Ich… hm… nehme an, Ihr legt keinen Wert darauf, dass Eure Anwesenheit bei uns jedem auffällt«, kommentierte er mit einem feinen Lächeln, als er ihr die Sachen übergab.
Layla bedankte sich, fragte sich aber, was ihn dazu veranlasst haben mochte, eine solche Entscheidung in dieser Schnelligkeit zu fällen. Er las die Frage offenbar aus ihrer Miene heraus.
»In den Stätten der Verbannung«, sagte er leise, »ist es die Pflicht jedes Einzelnen, für seine Brüder einzustehen - und für seine Schwestern.«
Es war schwer für sie, ihre Sachen zu packen, ohne dass Doña Maria etwas davon bemerkte. Sie hätte sich gerne von ihr verabschiedet, doch in dieser Beziehung konnte sie ihr nicht vertrauen; der alte Mann befand sich noch immer in Cordoba. Allzu viel war es ohnehin nicht, das sie mit sich nahm, aber es gab einige Dinge, die sie nicht zurücklassen wollte.
In dieser Nacht blieb sie wach, und als die Dämmerung näher kam wie eine ungeduldige Braut, schlich Layla sich noch einmal zu Suleiman. Die nächtliche Wache für die Geisel bestand inzwischen nur noch aus einem Soldaten, der längst eingeschlafen war. Sie kniete sich neben Suleimans Bett, legte ihm die Hand auf den Mund und rüttelte ihn wach.
Seine Augen weiteten sich, als er sie endlich in der Dunkelheit ausmachen konnte. »Hör zu«, wisperte sie, die Hand immer noch fest auf seinen Mund gepresst, »ich verlasse Cordoba - das ist sicherer für mich - und für dich auch. Es - es tut mir Leid, Suleiman, aber ich muss gehen. Versprich mir, dass du es niemandem verrätst. Sie werden es schon früh genug herausfinden.«
»Du gehst nach Granada zurück«, stellte Suleiman anklagend fest, als sie ihn losließ. Sie nickte. Er griff nach ihrem Arm.
»Nimm mich mit! Bitte nimm mich mit!«
Einen verrückten Moment lang zog sie es tatsächlich in Erwä gung. Aber es war unmöglich. Selbst gesetzt den unwahrscheinlichen Fall, dass Abraham Seneor entweder nichts merken oder es stillschweigend billigen würde - mit einer königlichen Geisel im Gepäck hatten sie sofort die Hermandad auf dem Hals, und am Ende wäre weder ihr noch ihm geholfen.
»Ich kann nicht«, entgegnete Layla gepresst. Plötzlich kam ihr in den Sinn, dass sie das Gleiche tat wie ihre Mutter - sie ließ ein Kind in einem fremden Land im Stich. Doch nein, es war keineswegs das Gleiche; Suleiman war nicht ihr Kind, und den größten Teil der Zeit hatten sie miteinander in erbitterten Gefechten verbracht.
»Sei froh, dass ich fort bin«, sagte sie hastig.
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