Mondlicht steht dir gut
oder sogar noch später?
Neil würde bei ihr anrufen.
Oder nicht?
Sie hatte seine besorgten Worte zurückgewiesen.
Vielleicht rief er gar nicht an. Sie war wirklich frostig zu ihm gewesen. Vielleicht wollte er nichts mehr mit ihr zu tun haben.
Nein, bitte nicht, dachte sie. Das würde Neil nicht tun. Neil würde nach ihr suchen. »Finde mich, Neil, bitte finde mich«, flüsterte sie und blinzelte Tränen zurück.
Sein Gesicht tauchte in ihrer Vorstellung auf. Beunruhigt. Bekümmert. Voller Sorge um sie. Hätte sie ihm doch bloß von den Glocken auf den Gräbern erzählt. Hätte sie ihn doch nur gebeten, sie in das Museum zu begleiten.
Das Museum, dachte sie plötzlich. Die Stimme hinter ihr.
In ihrer Phantasie ließ sie nochmals vor sich abrollen, was bei dem Überfall vor sich gegangen war. Sie drehte sich um und sah den Ausdruck auf seinem Gesicht, bevor er ihr die Taschenlampe auf den Kopf schlug. Böse. Grausam.
Wie er ausgesehen haben mußte, als er Nuala ermordete.
Räder. Sie war nicht vollständig bewußtlos gewesen, als sie spürte, wie sie auf Rädern fortbewegt wurde.
Eine Frauenstimme. Sie hatte eine Frauenstimme mit ihm reden hören, die sie kannte. Maggie stöhnte auf, als ihr einfiel, wessen Stimme es war.
Ich muß unbedingt hier raus, dachte sie. Ich darf nicht sterben; jetzt, wo ich das weiß, darf ich einfach nicht sterben. Sie wird es wieder für ihn tun. Das weiß ich.
»Hilfe«, schrie sie. »Helft mir.«
Wieder und wieder rief sie, bis sie sich endlich zwingen konnte, damit aufzuhören. Dreh nicht durch, beschwor sie sich. Dreh jetzt bloß nicht durch.
Ich zähle jetzt ganz langsam bis fünfhundert und rufe dann dreimal, beschloß sie. Ich mache das immer weiter so.
Sie hörte ein gleichmäßiges, gedämpftes Geräusch von oben und spürte ein kaltes Rinnsal auf ihrer Hand. Es regnete, wurde ihr klar, und der Regen tropfte durch das Ventilationsrohr herunter.
81
Um halb zwölf betraten Chief Brower und Detective Haggerty das Latham Manor. Es war nicht zu übersehen, daß die Bewohner mitbekommen hatten, daß irgend etwas nicht in Ordnung war. Sie standen in kleinen Gruppen im Foyer und in der Bibliothek beieinander.
Die Beamten waren sich der neugierigen Blicke bewußt, die ihnen folgten, als die Hausangestellte sie zum Büroflügel führte.
Dr. Lane begrüßte sie höflich. »Bitte kommen Sie herein. Ich stehe Ihnen zur Verfügung.« Er bat sie, Platz zu nehmen.
Er sieht ja völlig fertig aus, dachte Haggerty, als er die blutunterlaufenen Augen betrachtete, die grauen Falten um den Mund des Arztes und die Schweißperlen auf seiner Stirn.
»Dr. Lane, im Moment haben wir nur ein paar Fragen, das ist alles«, begann Brower.
»Das ist alles?« fragte Lane und versuchte zu lächeln.
»Herr Doktor, bevor Sie diese Stelle angetreten haben, waren Sie einige Jahre arbeitslos. Woran lag das?«
Lane schwieg eine Weile und sagte dann leise: »Ich nehme an, die Antwort darauf wissen Sie bereits.«
»Uns wäre es lieber, Ihre Version zu hören«, sagte Haggerty.
»Meine Version, wie Sie es ausdrücken, ist die, daß wir im Colony Nursing Home, für das ich damals zuständig war, eine Grippeepidemie hatten. Vier der Frauen mußten ins Krankenhaus eingeliefert werden. Als noch weitere Frauen mit grippeähnlichen Symptomen erkrankt sind, nahm ich deshalb natürlich an, daß sie sich am selben Virus angesteckt hatten.«
»Aber das traf nicht zu«, sagte Brower ruhig. »In Wirklichkeit war in ihrem Gebäudeteil des Pflegeheims eine Heizung defekt. Sie hatten eine Kohlenmonoxydvergiftung. Drei von ihnen sind gestorben. Stimmt das nicht?«
Lane hatte seinen Blick abgewandt und antwortete nicht.
»Und stimmt es nicht auch, daß der Sohn einer dieser Frauen Ihnen gesagt hatte, die Orientierungsschwierigkeiten seiner Mutter schienen doch nicht mit Grippesymptomen übereinzustimmen, und daß er Sie sogar darum gebeten hat, überprüfen zu lassen, ob Kohlenmonoxyd ausgetreten war?«
Wiederum antwortete Lane nicht.
»Man hat Ihnen wegen grober Fahrlässigkeit die Lizenz entzogen, und trotzdem ist es Ihnen gelungen, sich diese Position hier zu verschaffen. Wie ist es dazu gekommen?« fragte Brower.
Lanes Mund wurde schmal wie ein Strich. »Weil die Leute von der Prestige Residence Corporation so fair waren, anzuerkennen, daß ich Direktor einer überfüllten, finanziell schlecht ausgestatteten Einrichtung gewesen war, daß ich damals fünfzehn Stunden am Tag gearbeitet habe, daß eine ganze Reihe der
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