Mondlicht steht dir gut

auflaufen ließen und dann für sechs Wochen Zeitungen auf einmal bezahlten und zehn Cent Trinkgeld dazutaten. Er konnte sich noch gut an einen verschneiten Tag erinnern, als Mrs. Shipley darauf bestanden hatte, daß er hereinkam und sich aufwärmte, und sie ihm dann seine Handschuhe und Mütze zum Trocknen auf die Heizung legte, während er den Kakao trank, den sie für ihn zubereitet hatte.
    Als er nun vor wenigen Stunden der Messe in der Trinity Church beiwohnte, war er sich sicher gewesen, daß viele in der Gemeinde dort den Gedanken mit ihm teilten, der ihn einfach nicht losließ: Greta Shipleys Tod war durch den Schock über die Ermordung ihrer engen Freundin Nuala Moore beschleunigt worden.
    Wenn jemand einen Herzinfarkt erleidet, während ein Verbrechen stattfindet, dann kann man den Täter manchmal wegen Mordes vor Gericht bringen, dachte Haggerty – aber wie steht es damit, wenn eine Freundin wenige Tage später im Schlaf stirbt?
    Bei dem Gedenkgottesdienst für Mrs. Shipley war er überrascht gewesen, Nuala Moores Stieftochter Maggie Holloway mit Liam Payne zusammensitzen zu sehen. Liam hatte schon immer einen Blick für hübsche Frauen, dachte Haggerty, und genug von ihnen hatten weiß Gott im Lauf der Jahre auch auf ihn ein Auge geworfen. Er war einer der »heiratsfähigsten« Junggesellen von Newport.
    Haggerty hatte auch Earl Bateman in der Kirche entdeckt. Also das ist wirklich ein Bursche, der gelehrt genug sein mag, Professor zu sein, der aber trotzdem nicht alle Tassen im Schrank hat, hatte Haggerty gedacht. Dieses Museum von ihm kommt einem wie etwas aus der Addams Family vor – es jagte Haggerty einen Schauder ein. Earl hätte lieber bei dem Geschäft bleiben sollen, das seine Familie betrieben hat. Jedes einzelne Hemd, das er trug, war von den Anverwandten irgendeiner armen Seele bezahlt worden.
    Haggerty hatte sich vor der Abschlußprozession des Geistlichen davongestohlen, aber nicht bevor er zu dem Schluß gekommen war, daß Maggie Holloway Mrs. Shipley sehr nahegekommen sein mußte, um sich die Zeit dazu zu nehmen, zu ihrer Totenmesse zu erscheinen. Falls sie Mrs. Shipley im Latham Manor besucht hatte, fiel ihm nun ein, dann hatte sie doch vielleicht auch etwas von ihr erfahren, was zur Klärung der Frage beitragen konnte, weshalb Nuala Moore den Verkauf ihres Hauses an Malcolm Norton storniert hatte.
    Norton war der Mensch, von dem Jim Haggerty überzeugt war, daß er etwas wußte, was er nicht preisgab. Und diese Überlegung war auch der Anlaß, der ihn um drei Uhr desselben Nachmittags ohne Voranmeldung zur Nummer eins der Garrison Avenue trieb.
    Als es an der Haustür schellte, hielt sich Maggie in Nualas Schlafzimmer auf und war gerade damit beschäftigt, sorgfältig zusammengefaltete Kleidungsstücke in Stapel aufzuteilen: gute, brauchbare Kleidung für Wohltätigkeitszwecke; ältere, schon ziemlich abgetragene Textilien zur Wiederverwertung; eher teure, elegante Garderobe für den Gebrauchtwarenladen im Krankenhaus.
    Für sich selbst hob sie das blaue Kostüm, das Nuala an dem Abend in den Four Seasons getragen hatte, und dazu einen ihrer Malkittel auf. Straße der Erinnerungen, dachte sie.
    In den vollgestopften Wandschränken war sie auf mehrere Wolljacken und Tweedjacketts gestoßen – sicherlich Sachen von Tim Moore, die Nuala behalten hatte, weil sie so an ihnen hing.
    Nuala und ich waren schon immer auf derselben Wellenlänge, ging ihr durch den Kopf, während sie an den Kasten in ihrer Einbaugarderobe in der Wohnung dachte. Er enthielt das Kleid, das sie an dem Abend ihrer Begegnung mit Paul getragen hatte, zusammen mit einer seiner Fliegeruniformen und ihren zueinander passenden Jogginganzügen.
    Während sie am Aussortieren war, zerbrach sie sich pausenlos den Kopf, um eine Erklärung für die Glocken auf den Gräbern zu finden. Es mußte einfach Earl sein, der sie dort hingelegt hatte, überlegte sie. War es seine Vorstellung von einem heimlichen Streich, den er den Frauen aus dem Latham Manor spielte, weil sie diesen Aufruhr veranstaltet hatten, nachdem er während seines Vortrags die Glocken ausgeteilt hatte?
    Es war eine Erklärung, die Sinn machte. Vermutlich kannte er all diese Frauen. Schließlich stammten die meisten der Bewohner des Latham Manor ursprünglich aus Newport oder hatten doch zumindest die Frühlings- und Sommermonate dort verbracht.
    Maggie hielt einen Morgenrock hoch, entschied, daß seine Tage gezählt waren, und steckte ihn in den Altkleidersack.