Mondmädchen
mein Herz in meiner Brust schlagen hören. Ein überwältigendes Gefühl von Liebe für uns alle stieg in mir auf – für alle, die leiden mussten und die Göttin doch so innig und rein liebten. Alles vibrierte und pulsierte vor Licht und Kraft. Die Welt glänzte und ich staunte über ihre Schönheit.
Die Stimme einer Frau – der Priesterin? – forderte mich auf, mich auf sie zu stützen, während sie mich in den Tempel hineinführte. Ein dunkler Raum. Kleine Bronzelampen auf dreibeinigen Ständern in den Ecken. Priester und Priesterinnen sangen, beißender Rauch von Räucherwerk wob sich um ihre schwankenden Gesichter. »Leg dich hin«, befahl jemand.
Ich tat es. Ich lag in der Sonne unter einem blühenden Zitronenbaum. Der Himmel war strahlend blau. Juba lächelte mich an und beugte sich über mich, um mich zu küssen. Ich schloss die Augen. Seine Haut war so warm. So glatt. Ich drückte mich an seine bloße Brust und stellte schockiert fest, dass auch meine Brust nackt war. Ich überließ mich den Gefühlen – seine warmen Lippen zu spüren, das Pochen seines Herzens, während ich seine Haut liebkoste, seine sanften Küsse an meinem Hals. Wie sehr ich mich danach gesehnt hatte!
»Meine Königin!«, flüsterte er und ich erstarrte. Obwohl ich ihn so sehr begehrte, wollte ich doch nicht »seine« Königin sein. Ich wollte mein rechtmäßiges Erbe in Ägypten antreten.
Die Göttin lachte, ein leichtes, hingehauchtes Lachen. Ich stieß Juba beiseite. Er machte ein überraschtes, trauriges Gesicht. »Es tut mir leid«, sagte ich. »Es war und ist meine Bestimmung, Königin von Ägypten zu sein.«
Ich trug ein goldenes Gewand, während ich von ihm wegglitt. »Eine Königin muss ihre persönlichen Bedürfnisse dem Wohl ihres Volkes opfern«, sagte ich laut vor mich hin. Ich hatte diese Worte so oft von meiner Mutter gehört.
Ich befand mich in einem Wald. Marcellus rief nach mir. Er saß auf einem Baumstumpf und trug die leuchtend weiße Toga, in der ich ihn am Morgen meiner Abreise zum Tempel gesehen hatte. »Komm her«, rief er. Ich blickte hinab und bemerkte einen glänzenden Bronzespiegel in meiner Hand. Ich streckte ihm den Spiegel entgegen. Sein Spiegelbild blendete uns beide. Ich ließ den Spiegel fallen, doch ich hörte nicht, wie er auf dem Boden aufschlug.
»Ich begehre dich«, sagte er und stand so nahe bei mir, dass ich seinen Atem auf meinem Haar spüren konnte. »Was begehrst du?«
»Die Herrschaft«, murmelte ich.
»Nein«, sagte er überrascht. »Du musst mich begehren!«
Ich blickte zu ihm auf. »Ich begehre Macht über Octavian und die Seinen.«
»Von mir bekommst du alles, was du willst«, sagte Marcellus. »Angefangen mit mir.«
»Ich will Ägypten«, sagte ich.
Das Lachen der Göttin umschwebte mich wie ein sanfter Windhauch, leise und wissend. Verwirrt wandte ich mich um. Wo war die Göttin? Ich konnte sie hören, doch ich konnte sie nicht sehen.
»Ich will das, was meine Mutter wollte!«, verkündete ich ihr und Marcellus und der Luft. Mutter wollte Unabhängigkeit für Ägypten. Sie wusste, dass wir Rom nicht besiegen konnten – wer konnte das schon? – und hatte deswegen versucht, sich zu verbünden. Warum sollte ich nicht dasselbe tun?
»Du musst dich entscheiden«, flüsterte die Göttin.
Entscheiden ?
»Selene!«, flüsterte Marcellus lächelnd. Ich hatte ganz vergessen, dass er da war. »Komm mit mir.«
»Kleopatra Selene«, flüsterte jemand anderes – Juba.
»Du musst eine Entscheidung treffen«, sagte die Göttin.
»Ist das alles – die Wahl zwischen zwei Männern ?«, fragte ich. »Ich will das, was Mutter hatte!«
»Deine Mutter hat beide Männer gewählt«, erwiderte sie mit einem unbeschwerten Lachen.
»Nein! Sie hat die Unabhängigkeit für ihr Land gewählt. Sie hat sich für Macht und Freiheit entschieden«, rief ich.
Beinahe wie eine Antwort darauf, bewegte sich eine pulsierende Energie vom Boden hinauf in meine bloßen Füße hinein. Sie erfüllte meinen ganzen Körper, der in einem hellen Licht erstrahlte, zuerst an den Zehen, dann an meinen Fingerspitzen und schließlich an der Oberseite meines Kopfes.
»Ich entscheide mich für die Macht«, sagte ich. »Ich wähle die Freiheit.«
»Jaaaaaaa«, sagte die Göttin im Windhauch. »Mehr kann man niemals wählen.«
Ich schlug die Augen auf. Ein kalter Fußboden. Ein verschwommenes Bild schwankender Sänger. Das Flackern der Flammen. Der scharfe, widerliche Geruch von Räucherwerk und menschlichem
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