Mondmädchen
Vielleicht machte Isetnotfret sich nicht klar, wie unmöglich es sein würde, irgendetwas zu bewirken ohne einen römischen Ehemann an meiner Seite. Außerdem würde der Mord an einem römischen Bürger einen Aufruhr nach sich ziehen, der groß genug wäre, meine Regentschaft zu bedrohen. Nein, es würde keinen Mord in meinem Namen geben. Wenn die Zeit gekommen war, würde ich ihnen Einhalt gebieten. Sie würden einsehen, dass es vernünftig war. Dafür würde ich schon sorgen.
Mit entschlossener Miene nickte ich der Priesterin zu.
»Die Göttin hat gesprochen«, sagte Isetnotfret. »In meinen Visionen nennt sie dich ›Königin‹. Verstehst du? Und nun hat auch deine Reise zu ihr dies bestätigt.«
Die Aussicht auf eine Rückkehr nach Hause, auf die Wahrnehmung meines rechtmäßigen Erbes und auf das Leben, das mir vorherbestimmt war … mich überkam ein Gefühl von Ruhe und Frieden. Dies war der Willen der Göttin. Ich lächelte Isetnotfret zu.
Sie erwiderte das Lächeln. »Wir werden die Revolution vorbereiten.«
Bei meiner Rückkehr in Octavians Anwesen eilte ich zuerst zu Alexandros. Die Priesterin hatte mich gewarnt, ich sollte ihn nicht in die Einzelheiten unserer Pläne einweihen – ja, sie hatte sogar gesagt, ich sollte überhaupt nicht mit ihm sprechen –, doch ich wollte meinem Zwillingsbruder etwas so Wichtiges nicht vorenthalten. Außerdem würde es ihn vielleicht dazu bewegen, sich beim nächsten Vollmond ebenfalls den Riten der Isis zu unterziehen.
Alexandros saß im großen Garten auf einer Bank unter einem der Schatten spendenden Bäume. Als ich näher kam, klappte er rasch eine Wachstafel zu, auf der er soeben noch geschrieben hatte.
»Beim Auge des Ra, Bruder!«, rief ich grinsend aus. »Man könnte glauben, dass du an eine geheime Geliebte schreibst, so schnell wie du das da zugeklappt hast!«
»Das ist nicht wahr«, erwiderte er gereizt. Aber die Röte, die seinen Hals emporkroch, erinnerte mich an sein geheimnisvolles Stelldichein in dem Gebüsch.
»Und wen hast du dann letzte Woche in dem Dickicht geküsst?«
Er runzelte die Stirn. »Du hast gesagt, du wüsstest es!«
»Nun, ich dachte, es wäre Marcellus, aber Marcellus streitet alles ab.«
»Marcellus!«, blaffte er empört. »Wie kommst du denn auf die Idee?«
»Ich habe blonde Locken gesehen und ich dachte, ich hätte eine männliche Stimme gehört … aber egal. Sag mir einfach, wer es war!«
Er erhob sich. »Oh, ihr Götter! Hast du ihm etwa erzählt, dass du uns gesehen hast? Jetzt wird er sich ebenfalls fragen, wer es war. Julia bringt mich um!«
»Julia?«, kreischte ich. »Du warst mit Julia zusammen?«
»Nicht so laut«, sagte Alexandros und setzte sich wieder hin.
»Aber warum ausgerechnet Julia? Willst du erreichen, dass man uns umbringt?«
»Sie ist mir nachgelaufen«, verteidigte er sich.
»Na klar ist sie das! Nichts könnte ihren Vater mehr verärgern, als seine Tochter zusammen mit dem Sohn der ägyptischen Königin zu sehen! Sie liebt doch nichts mehr, als ihm eins auszuwischen. Bist du verrückt geworden?«
Alexandros zuckte die Schultern. »Vielleicht. Aber du bist verrückt, Marcellus davon zu erzählen. Er steht Octavian viel zu nahe, als dass man ihm trauen könnte. In jeder Hinsicht.« Er rieb sich mit der Hand übers Gesicht. »Ich werde ihr sagen, dass wir Schluss machen müssen. Sie wird das sicher einsehen.«
Ich wollte ihn schon für seinen miserablen Geschmack tadeln, als mir ein neuer Gedanke kam, der mich innehalten ließ. »Sag mir, Bruder – liebst du sie?«
Ein Ausdruck von Abscheu und Verwunderung huschte über sein Gesicht. »Wenn du das für möglich hältst, kennst du mich wirklich überhaupt nicht«, sagte er leise, während er sich zum Gehen wandte.
»Warte!« Ich packte ihn am Arm. »Willst du nichts von den Mysterien hören? Willst du nichts von den Plänen der Göttin erfahren, wie wir auf unseren rechtmäßigen Thron zurückkehren können?«, flüsterte ich.
Er entzog mir seinen Arm. »Ich will nichts von dem, was die Göttin uns anzubieten vorgibt. Sie hat uns schon zu oft im Stich gelassen.«
Wieder einmal marschierte er voller Wut auf die Göttin davon. Ich legte zwei Finger auf mein Herz, als Zeichen des Schutzes vor dem Bösen, während ich ihm hinterhersah.
Später an jenem Nachmittag, ging ich in Livias Tablinum . Zwar war ich durch Isetnotfret noch reichlich mit Lektüre versorgt, doch nach meinem Gespräch mit Alexandros war ich so unruhig, dass ich mich kaum
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