Mondmädchen
uns«, flüsterte mir Isetnotfret ins Ohr. Ich folgte ihr in einen Raum, der durch einen Vorhang vom Bankettsaal abgetrennt war und in dem eine kleine Gruppe von kahlrasierten Priestern und langhaarigen Priesterinnen wartete. Sie ließ eine Wache zurück, die dafür sorgen sollte, dass wir ungestört blieben.
Die Oberpriesterin wandte sich zu mir. »Sag mir, welche Vision die Göttin dir geschickt und was sie zu dir gesagt hat.«
»Sie hat gesagt, ich sollte mich entscheiden«, sagte ich zögernd.
»Und, wofür hast du dich entschieden?«, fragte Isetnotfret.
»Macht«, sagte ich. »Ich habe die Macht gewählt.«
Langsam breitete sich ein Lächeln auf dem Gesicht der Priesterin aus. »Sehr gut.« Sie wechselte Blicke mit den anderen.
»Warum?«, fragte ich. »Was hat das zu bedeuten?«
»Es bedeutet, dass die Göttin unsere Pläne gutheißt«, sagte sie. »Das Volk der Isis leidet im Land Kemet, denn die Ma’at ist zerstört. Wir haben jetzt endlich einen Plan, wie wir den Thron für dich zurückgewinnen können. Und jetzt wissen wir, dass die Göttin damit einverstanden ist.«
»Wie? Wie werden wir Ägypten zurückerobern?«
»Cornelius Gallus«, sagte sie.
Ich schüttelte verständnislos den Kopf. Isetnotfret begann hin und her zu laufen. »Er ist der Mann, den Caesar als Statthalter in Ägypten eingesetzt hat. Er hat bereits gewisse Bestrebungen gezeigt, mehr Macht über das zu bekommen, was Caesar ihm zur Verwaltung übergeben hat. Die Priester in Ägypten haben ihm nahegelegt, dass die Ma’at im Land wiederhergestellt werden muss. Er ist offen für unsere Pläne.«
»Welche Pläne?«
»Eine Hochzeit mit dir. Du würdest an seiner Seite regieren als die große Königin, zu der du seit jeher bestimmt bist.«
Ich sog den Atem ein. »Aber … aber die Göttin hat mir nicht Cornelius Gallus gezeigt …« Sie hatte mir Juba und Marcellus gezeigt, aber keinen sonst. Und sie hatte mir, wie mir plötzlich klar wurde, auch nicht Ägypten gezeigt.
»Die Göttin ist nicht immer eindeutig, aber ihre Absichten sind ganz klar erkennbar. Sie will, dass du Macht hast. Diese Bestätigung haben wir gebraucht und jetzt haben wir sie bekommen.«
Ein Schauer durchfuhr mich. »Aber wenn ich Gallus heirate – wie kann dadurch die Ma’at wiederhergestellt werden, solange Rom noch immer die Herrschaft innehat?«
»Rom herrscht aufgrund seiner militärischen Übermacht. Aber es weiß nicht, wie man die Alten Länder regiert.«
»Das würde Octavian niemals zulassen«, sagte ich. »Er würde mir und unserem Volk gleich wieder den Krieg erklären!«
»Octavian bereitet sich darauf vor, innerhalb der nächsten drei Monate nach Iberien zu ziehen«, sagte Isetnotfret, »wo rebellische Stämme wieder einmal die Macht Roms ins Wanken bringen. Ein Aufstand in Alexandria zum richtigen Zeitpunkt und er wäre zu geschwächt und nicht in der Lage, etwas dagegen zu unternehmen. Und da Ägypten das Getreide liefert, von dem Rom sich ernährt, müssen wir ihn nur an seine Abhängigkeit vom Überfluss der Muttergöttin erinnern.«
»Aber wenn ich als Königin regieren würde, dann würde Cornelius Gallus als König angesehen werden. Und kein Römer würde es je zulassen, dass ein anderer Römer diesen Titel trägt.«
»Das stimmt, aber Gallus wird einfach behaupten, die Hochzeit mit dir, diene nur dazu, die Priester und gläubigen Bevölkerungsschichten zufriedenzustellen. Solange er sich nicht selbst zum König ernennt, bricht er damit kein römisches Gesetz.« Isetnotfret lächelte. »Und sobald feststeht, dass unsere Pläne aufgehen und dass es keinen Krieg geben wird, würden wir Gallus dann eliminieren.«
Ihn ermorden? Der Schock war mir offenbar deutlich anzusehen, denn Isetnotfret berührte mich an der Schulter und sagte: »Mach dir keine Sorgen. Es würde nicht durch deine Hand geschehen.«
Bei den Göttern, aber der Mord würde in meinem Namen, um meinetwillen ausgeführt! Ich dachte an die Gerüchte und Anschuldigungen, die ich in Rom über Mutter gehört hatte – sie hätte meine Tante Arsinoë töten lassen und auch ihren jüngeren Bruder umgebracht. Ich hatte diese Gerüchte immer für unwahr erklärt, aber plötzlich erschien es mir gar nicht mehr so unvorstellbar. Wenn jemand es gewagt hätte, meiner Mutter Ägypten wegzunehmen, hätte sie alles getan, um ihre Krone zu verteidigen.
Und doch hatte Mutter Caesar und Antonius niemals hintergangen. Sie hatte begriffen, dass nur ein Bündnis die Lösung war.
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