Mondmädchen
flehe dich an, bereite meinem großen Leid und meinem
Unglück ein Ende.
Erfülle mich mit deiner Weisheit.
Führe meine Hand in allem, was ich für dich und Ägypten tue.
Am dritten Abend schlief ich ein, während der Raum noch von dichtem Rauch erfüllt war, und träumte von dem Tag, an dem ich Octavian um die Erlaubnis angefleht hatte, Ptoli nach ägyptischem Ritus bestatten zu dürfen. Wieder und wieder sah ich mich in seinem Tablinum , wie er meinen Arm verdreht und mich gegen seinen Tisch gedrückt hatte. Wie der Stoß etwas zu Boden geworfen hatte. Wie er meine Hand weggeschlagen hatte, bevor ich den Gegenstand berühren konnte, und ihn dann zurück auf seinen Tisch geworfen hatte. Wie er gegrinst hatte, als er mir erklärte, er hätte sich einen Siegelring aus Mutters Gold anfertigen lassen …
Ich setzte mich auf. Die Göttin hatte es mir gezeigt. Ich hatte verstanden. »Danke dir, große Herrin des Lichts«, flüsterte ich. »Danke.«
Ein paar Tage nachdem ich meine Anweisungen erhalten hatte, knetete ich einen kleinen Klumpen Wachs in der Hand, während ich in Richtung von Octavians Tablinum schlenderte. Ich war auf der Suche nach einer Schriftrolle, die ich in Livias Sammlung nicht finden konnte – jedenfalls war das der Vorwand für meine Anwesenheit hier, falls man mich fragen sollte.
Octavian unterzeichnete oft Dokumente zwischen der sechsten und siebten Hora, nachdem die letzten seiner Bittsteller ihr morgendliches Ritual, seinen Ring zu küssen und ihn um einen Gefallen zu ersuchen, beendet hatten. Dann verlangte er nach Ruhe. Ich hatte einen jungen Sklaven bestochen, damit er eine große Schlange in Octavians Atrium freiließ, während gerade eine Gruppe von Sklavinnen vorbeiging. Der Aufruhr würde, so hoffte ich, den Princeps aus seinem Arbeitszimmer locken.
Die Schreie gellten noch lauter und panischer, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich eilte durch den rückwärtigen Dienstboteneingang ins Haus und linste um die Ecke, gerade als Octavian und Thyrsus zu den kreischenden Frauen hinübermarschierten. »Bei den Göttern, was ist denn hier los?«, rief Octavian wütend.
»Es ist ein Omen! Ein schlechtes Omen!«, jammerte eine der Frauen.
Ich knetete den Wachsball noch heftiger, die Hitze, die ich vor lauter Angst verspürte, machte ihn weich. Ich schlüpfte in das Arbeitszimmer. Da. Sein schwerer Siegelring lag neben dem kunstvoll verzierten Tintenfass aus rotem Ton, genau wie es in dem Traum gewesen war, den die Göttin mir gesandt hatte. Mein Herz pochte so laut in meinen Ohren, dass ich sicher war, der Lärm würde ihn dazu bringen, unter lautem Gebrüll in sein Zimmer zurückzukehren.
Mit zitternden Fingern drückte ich das Siegel in das angewärmte Wachs. Der Ring klackerte, als ich ihn wieder hinlegte, und ich zuckte bei dem Geräusch zusammen. Aber niemand kam. Während ich zur Tür eilte, legte ich den Wachsabdruck in eine kleine Schachtel, um das Bild zu schützen.
Beim Blick nach draußen, sah ich, dass eine der Wachen gerade versuchte, der Schlange den Kopf abzuschlagen. Ich rannte aus der Hintertür und hörte noch, wie Octavian nach einem etruskischen Haruspex rief, der ihm die Bedeutung der Schlange erläutern sollte, die zu Füßen der Totenmasken seiner Vorfahren aufgetaucht war.
Als ich schließlich den Wachsabdruck des Siegels genauer betrachtete, musste ich der Versuchung widerstehen, ihn sogleich an der Wand zu zerschmettern. Eine Sphinx. Octavian hatte die ägyptische Sphinx als sein Symbol angenommen. Mir drehte sich der Magen um vor Widerwillen. Wieder einmal hatte er einen Weg gefunden, wie er sich an der Vernichtung meines geliebten Ägyptens freuen konnte. Aber ich zerstörte die Form nicht, sondern verschloss den Deckel der Schachtel wieder und plante meinen nächsten Ausflug zum Tempel der Isis bei Capua.
Erst Wochen nachdem ich den Wachsabdruck mit dem Siegel meines Feindes abgeliefert hatte, erhielt ich eine erneute Nachricht von der Priesterin. Ich sollte ihre Getreuen beim großen Brunnen mitten in der Subura treffen. Komm verkleidet , wies mich die Nachricht an, und warte. Unsere Verbündeten werden sich dir zu erkennen geben.
An dem vereinbarten Morgen schlüpfte ich in die billige braune Wolltunika einer Sklavin, die Zosima für mich entwendet hatte, und ließ meine Füße in grobe Kordel-Sandalen gleiten. Ich schnappte mir eine dunkle Kapuze, die ich mir über den Kopf legte. Kurz bevor ich aus meinem Cubiculum treten wollte, zischte Zosima mir
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