Mondmädchen
und Sorge. Als der kleine, aus Backsteinen erbaute Leuchtturm von Ostia, der Hafenstadt südwestlich von Rom, auftauchte, war ich angesichts der Hässlichkeit der überfüllten Hafenanlangen und des dort herrschenden Chaos völlig schockiert. Ich hatte gedacht, alle Häfen wären so schön wie der von Alexandria, mit seinen schwankenden Palmen und weißen Häusern, die wie Kristalle in der Sonne leuchteten. Aber vom Meer aus gesehen, wirkte Ostia wie ein Misthaufen voller Kakerlaken. Ich ergriff die Hände meiner beiden Brüder.
»Wir … wir dürfen niemals vergessen, wer wir sind, ganz gleich, was sie mit uns machen und wohin sie uns bringen«, flüsterte ich ihnen zu, während ich mir die letzten Anweisungen unserer Mutter ins Gedächtnis rief. »Wir müssen schwören, dass wir uns niemals von ihnen auseinanderbringen lassen.«
Als weder Alexandros noch Ptoli reagierten, drückte ich ihre Hände. »Schwört es, bitte!«, drängte ich sie. »Dass wir immer zusammenbleiben werden!«
»Ich schwöre es«, sagte jeder meiner Brüder mit leiser Stimme und so jämmerlich, wie der vor uns liegende Hafen aussah.
Als wir in Ostia von Bord gingen, fragte ich mich, ob wir vielleicht soeben von Chirons Boot direkt in den Hades hineingestolpert waren. Der Ort schien verdammt zu sein, schmutzig und schäbig und so voll mit schwitzenden, stinkenden Hafenarbeitern, Tagelöhnern, Reisenden und fliegenden Händlern, dass römische Wachsoldaten die Leute mit ihren Schwertern bedrohen mussten, um uns einen Weg durch die Menge zu bahnen.
Die Nachricht von unserer Ankunft hatte sich offenbar verbreitet, denn die Leute fingen an, sich um uns zu scharen. »Sind sie das? Die Kinder dieser Hure?«, riefen sie. »Man hätte sie gleich ersäufen sollen! Ich spucke auf sie!«
Ich hielt das Kinn in die Höhe gereckt und tat so, als hätte ich die Beleidigungen nicht gehört, während die Soldaten uns abführten. Gleichzeitig fiel es mir schwer, die heiße, übelriechende Luft einzuatmen. In allen Häfen roch es nach Fisch, das wusste ich, aber Ostia setzte ganz neue Maßstäbe. Es war, als würde man uns durch den glibberigen Bauch eines gigantischen Seeungeheuers zerren. Als ein heißer Windstoß uns den Gestank direkt ins Gesicht blies, mussten wir würgen.
»Ah, der Gestank von Ostias Garum -Kesseln«, sagte einer der Soldaten hinter uns. » Jetzt fühle ich mich wirklich zu Hause.«
» Garum ?«, fragte ich. »Die Fischsoße?«
Der Römer gab keine Antwort, doch Zosima neben mir schnaubte verächtlich. »In Rom wird die aus vergammelten Fischstücken gemacht«, flüsterte sie leise. »Sie lassen die Innereien von Fisch wochenlang in der Sonne liegen, bis sie sich verflüssigen.«
Wir gingen weiter am Kai entlang zu dem Kahn, der uns den Tiber hinauf bis in die Stadt bringen sollte. Die Menge lichtete sich, da die Leute zum hinteren Ende unseres Zuges eilten, um den römischen Soldaten zuzujubeln, die nun das Schiff verließen. Von Zeit zu Zeit hörte ich Beifall und Jubelrufe für die »Helden von Rom«.
Helden? Sie denken, das sind Helden? Das sind nichts als Barbaren, deren Muskelkraft sie zu den Tyrannen der Welt gemacht hat …
»Pssst«, machte Alexandros. »Einige von denen können dich vielleicht verstehen.«
Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich laut vor mich hin gemurmelt hatte. Ich versuchte, meinen Fehltritt durch Empörung zu überspielen. »Sieh sie dir doch an«, zischte ich. »Glaubst du wirklich, dass auch nur einer dieser ungebildeten Barbaren die Sprache unserer Vorfahren gelernt hat? Ich wette, keiner von denen spricht Griechisch! Es besteht also kaum Gefahr, dass sie mich verstehen könnten.«
»Trotzdem«, sagte er. »Wir befinden uns in Feindesland. Wir müssen vorsichtig sein. Unsere einzige Waffe ist das Schweigen und die scheinbare Fügung in unser Schicksal.«
Alles an der römischen Landschaft wirkte dunkel und bedrohlich. Das Licht war nicht so strahlend wie in Alexandria. Dichte, dunkle Zypressen und stachelige Pinien ragten über uns in die Höhe wie wachsame Soldaten. Als wir die Stadt erreichten, schlängelten sich grob gepflasterte Straßen in einem Gewirr aus dunklen, verschlungenen Gängen und Gassen. Ich dachte an die geraden, sauberen, breiten Straßen von Alexandria und daran, wie sich die Hauptstraße der Stadt, die Kanopische Straße, so breit erstreckte, dass mehrere Wagengespanne von einem Ende zum anderen Rennen fahren konnten – was sie manchmal auch taten. Ich dachte an unsere
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