Mondmädchen
raschelnden Palmen, an den frischen Wind vom Meer her und seufzte.
Vom Fluss Tiber trotteten wir zu Octavians Anwesen ganz oben auf dem Palatin. Ptoli ergriff meine Hand, als wir unser neues Zuhause erblickten, ein scheinbar bescheidenes Haus, das direkt an der Straße stand. »Wird er auch hier sein?«, fragte er zum gefühlten millionsten Male, wobei sich sein kleines Gesicht in tiefe Sorgenfalten legte.
Ich schüttelte den Kopf und wiederholte meine Versicherung: »Nein. Octavian ist doch immer noch in Ägypten.«
Wir blieben im vorderen Innenhof stehen, als eine ganze Horde Kinder auf uns zugerannt kam. Der Anblick erschreckte mich, da ich nur förmliche Begrüßungsrituale mit Erwachsenen gewöhnt war. Warum begrüßte Octavia uns nicht als Erste? Ich verrenkte mir den Hals, um nach der Frau Ausschau zu halten, die unserer Mutter geschworen hatte, uns zu beschützen. Wir hatten schon zuvor erfahren, dass sich Livia, die Frau von Octavian, den Göttern sei Dank, zurzeit auf Reisen befand.
»Ist er der Tata von denen allen?«, flüsterte Ptoli.
»Sozusagen«, antwortete unser Begleiter. »Allerdings ist nur das hübsche blonde Mädchen wirklich von seinem Blut. Aber weil seine Schwester keinen Ehemann hat, kümmert er sich auch um alle ihre Kinder.«
Mein Herz klopfte ängstlich, als die Kinder uns erreichten. Ich warf einen Blick auf ihre Hände, um zu sehen, ob sie Steine oder Stöcke hielten, die sie auf uns werfen könnten. Doch zu meiner Überraschung lächelten sie alle.
»Willkommen, willkommen«, riefen sie auf Lateinisch. »Wir haben schon den ganzen Tag auf euch gewartet!«
Der älteste Junge, ein hübscher, blauäugiger Bursche von etwa dreizehn Jahren, lächelte und sagte in sorgsam gewählten, griechischen Worten: »Als der älteste Sohn von Gaius Claudius Marcellus und Octavia, der Schwester von Caesar, heiße ich euch in der Familie willkommen. Ach ja, und sagt doch bitte Marcellus zu mir!«
Sein Lächeln war so warmherzig und so echt, dass ich gar nicht anders konnte, als es zu erwidern. Ich hatte bestimmt schon seit Wochen nicht mehr gelächelt.
»Das ist ungerecht!«, sagte das jüngste Mädchen auf Lateinisch. »Wir wissen nicht, was du gesagt hast! Wir hatten noch nicht so viel Griechisch-Unterricht wie du!«
Marcellus wandte sich zu ihr. »Tonia, das haben wir doch schon besprochen. Sie sprechen unsere Sprache nicht. Wir müssen ihnen helfen …«
»Wir sprechen fließend Lateinisch«, unterbrach ihn Alexandros. »Unser Vater war, wie ihr euch vielleicht erinnert, der große römische Imperator Marcus Antonius.«
Marcellus zog die Augenbrauen in die Höhe. »Dein Latein ist astrein. Das macht es natürlich für alle sehr viel einfacher.«
»Hey«, sagte das kleine Mädchen namens Tonia. »Mein Vater war auch der Imperator Marcus Antonius!«
Ein hübsches, goldgelocktes Mädchen, das etwas jünger zu sein schien als ich, trat nach vorn – sie war diejenige, die laut dem Römer die Tochter von Octavian war. »Wir haben dir doch schon gesagt, dass sie denselben Vater haben, Tonia!«, blaffte sie mit herrischer Stimme. Dann warf sie sich vor uns in Positur. »Ich bin Julia, das einzige Kind von Gaius Julius Caesar Octavianus aus dem Geschlecht der Julier.«
Sie blickte mich herausfordernd an, aber Marcellus unterbrach sie, um die anderen vorzustellen. Der zwölfjährige Tiberius, dunkelhaarig, ernst und mit einem schönen Gesicht, das von roten Pickeln entstellt war, nickte uns zu. Sein acht Jahre alter Bruder, Drusus, lächelte schon freundlicher. Die beiden waren die Stiefsöhne des Octavian von seiner dritten Frau Livia. Dann waren da noch zwei hübsche Mädchen, die ungefähr in meinem Alter zu sein schienen, es waren Marcellus’ Schwestern, Marcella die Ältere und Marcella die Jüngere. Beide lächelten schüchtern. Schließlich stellte uns Marcellus unsere Halbschwestern vor. Die Töchter von Octavia und Tata, Antonia die Ältere, neun, und Antonia die Jüngere, sechs.
»Halt mal«, lachte Ptoli. »Wieso habt ihr Schwestern eigentlich alle denselben Namen?«
»Wir bekommen den Namen unseres Vaters«, erklärte Antonia die Ältere. »Das ist bei allen Mädchen so.«
»Du kannst sie Antonia nennen und mich Tonia«, sagte das jüngere der Mädchen.
Ich starrte sie an und versuchte das Gefühl von Ungläubigkeit abzuschütteln. Waren Mädchen für die Römer so unwichtig, dass sie sich nicht einmal die Mühe machten, ihnen eigene Namen zu geben? Sie mussten die Namen ihrer
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