Mondmädchen
Er war da gewesen! Ich hatte es schon fast vergessen.
Er räusperte sich. »Würdest du mir ein wenig von deiner Mutter erzählen? Ich weiß so wenig über sie.«
Mein Inneres schmolz wie weiches Wachs. Kein Römer hatte mich je nach Mutter gefragt, außer Julia, die es nur tat, um mich oder Mutter zu beleidigen. Nur wenn ich gemeinsam mit meinen Brüdern in der Dunkelheit flüsternd Erinnerungen austauschte, schien Mutter für mich zu leben. Es platzte nur so aus mir heraus, als ich nun endlich Gelegenheit hatte, über sie zu reden. »Mutter sprach sieben Sprachen!«
Er hob die Augenbrauen.
»Sie hat nie Übersetzer gebraucht, wenn sie sich mit Diplomaten getroffen hat. Und sie hat dafür gesorgt, dass auch wir viele Sprachen gelernt haben, weswegen wir auch etwas von deinem numidischen Punisch beherrschen.«
Er senkte für einen kurzen Augenblick die Augen. »Alle haben sie geliebt«, fuhr ich rasch fort. »Nicht jeder ptolemäische König wurde zum Pharao von ganz Ägypten benannt, weil diese Ehre nur von den heiligen Priestern des Ra erteilt wurde. Aber Mutter war Pharao und Königin zugleich!«
Er lächelte.
»Und sie hat viele Bücher geschrieben! Sie hat unter anderem über die Wissenschaften, über Mathematik und über die Landwirtschaft am Nil geschrieben«, sagte ich und war mir bewusst, dass es angeberisch klang. Aber das war mir egal.
»Wirklich? Deine Mutter scheint ein ganz besonderer Mensch gewesen zu sein.«
»Das war sie«, pflichtete ich ihm bei. »Das war sie wirklich.«
~ Kapitel 19 ~
Während die Monate vergingen, machte ich mir Sorgen um Alexandros, der sich mehr und mehr in sich zurückzuziehen schien. Eines Abends, als wir alle auf dem Weg in unsere Schlafkammern waren, versuchte ich, ihn darauf anzusprechen.
»Was willst du, Schwester?«, fragte Alexandros.
Die Kälte in der Stimme meines Zwillingsbruders fühlte sich an wie ein Schlag in die Magengrube. »Ich muss mit dir reden«, sagte ich.
»Jetzt? Es ist schon spät.« Sein Blick wanderte zu dem Diener hinüber, der mit der Fackel in der Hand Tiberius und die anderen Jungen geleitete. Er wirkte nervös, obwohl ich mir nicht erklären konnte, warum.
»Es ist mir egal, wie spät es ist. Ich will jetzt mit dir reden!«
Drusus drehte sich nach uns um. Alexandros musste es bemerkt haben, denn er ballte die Hände zu Fäusten. »Schwester, du musst mit den anderen Mädchen gehen. Es gehört sich nicht, dass du uns hierher folgst.«
»Warum streitet ihr euch?«, fragte Ptoli.
Ich wandte mich zu ihm und rang mir ein Lächeln ab. »Wir streiten uns gar nicht. Komm jetzt, Kleiner Stier. Spring auf meinen Rücken. Ich wette, dass ich dich noch immer so tragen kann!« Er grinste und sprang auf meinen Rücken. Ich packte seine Beine und geriet kurz ins Schwanken. »Isis! Du bist der größte Siebenjährige, den ich kenne. Ich werde dich wohl in Zukunft ›Großer Stier‹ nennen müssen!«
Ptoli lachte.
»Setz ihn ab!«, sagte Alexandros. »Ihr beide macht so einen Aufstand hier.«
»Du fehlst mir, Ptoli«, sagte ich. »Warum kommst du nicht mit mir in meine Kammer zum Schlafen, so wie wir es gleich nach unserer Ankunft hier getan haben?«
»Ja, ja!« Er schrie fast. Mir wurde klar, dass auch er mich sehr vermisste. Ptoli war einfach noch zu jung, um mit den anderen Jungen zusammen zu sein. Er hätte bei mir bleiben sollten.
Alexandros runzelte die Stirn. »Sei nicht albern, Ptoli. Du kannst nicht mit den Mädchen gehen …«
»Und warum nicht?«, rief ich aus. »Was ist Schlimmes dabei, mit seiner Schwester zusammen zu sein?«
Ptoli strampelte mit den Beinen zum Zeichen, dass er abgesetzt werden wollte. Er rannte zu Alexandros und nahm ihn bei der Hand. »Ja, wir Jungen müssen zusammenhalten«, sagte er. Und damit marschierten sie davon, doch ich ging ihnen hinterher.
»Ptoli«, rief ich. »Du hast das falsch verstanden. Wir alle drei müssen zusammenhalten. Erinnerst du dich an dein Gelübde? Wir dürfen nicht zulassen, dass sie uns auseinanderbringen!«
»Geh zurück!«, zischte Alexandros mir zu, als wir uns dem Flügel der Jungen näherten. »Geh zu den anderen Mädchen.« Er riss an Ptolis Hand, während er losrannte, um die anderen Jungen einzuholen.
Vor Schreck blieb ich wie erstarrt stehen, lange nachdem die flackernde Fackel in der Dunkelheit verschwunden war. Das konnte er doch nicht tun. Wir hatten es geschworen! Und nur weil die Jungen in den römischen Familien auf ihre Schwestern herabblickten,
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