Mondmädchen
zurückweichen. Mit einem Anflug von Genugtuung stellte ich fest, dass Mutter genau die Richtige ausgesucht hatte, die über uns wachen sollte. Es war, als würde sie uns selbst aus dem Jenseits noch beschützen.
Ptoli griff nach meiner Hand. Er sah aus, als würde er jeden Augenblick in Tränen ausbrechen. Ich kniete mich neben ihn. »Alles ist gut«, sagte ich und rang mir ein Lächeln ab. »Nur ein kleines Missverständnis.«
Tiberius schnaubte verächtlich.
»Komm mit mir«, flüsterte ich mit zusammengeschnürter Kehle. »Wir spielen die ganze Nacht leise Spiele und ärgern damit Zosima, wie wir es früher getan haben.«
Aber Ptoli schüttelte den Kopf. Er hatte seine Wahl getroffen. Er würde bei den Jungen bleiben.
»Komm jetzt, Selene«, sagte Marcellus. »Ich werde dich in deinen Flügel hinüber begleiten. Es wird Zeit, dass ihr Jungen alle in euren eigenen Schlafkammern seid.«
Tiberius und Drusus eilten sofort aus Alexandros’ Cubiculum hinaus. Ich küsste Ptoli auf die Wange, doch Alexandros würdigte mich nicht einmal eines Blickes.
Ich ging neben Marcellus her, der eine kleine bronzene Öllampe in Form eines Singvogels trug, deren Flamme aus dem offenen Schnabel herauskam.
»Wirst du …« Ich hielt inne, da ich wusste, dass Alexandros wütend sein würde über das, worum ich jetzt bitten wollte. Doch dann fuhr ich fort. »Kannst du dafür sorgen, dass Tiberius meinen Bruder nicht mehr schlagen wird?«
Marcellus seufzte.
»Bitte!«
»Du verstehst das nicht«, sagte Marcellus. »Tiberius ist nicht so einfach in Schach zu halten. Und ich kann ihn nicht direkt herausfordern …«
»Warum nicht?«
»Weil ich meiner Mutter geschworen habe, dass ich es nicht tun werde. Er ist der älteste Sohn von Livia. Es ist schwer genug für ihn, zu wissen, dass sein Stiefvater mich als seinen Liebling auserwählt hat. Und da kann ich nicht auch noch darauf herumreiten. Das Beste wäre, wenn Alexandros ihm einfach aus dem Weg gehen würde.«
»Kannst du wenigstens dafür sorgen, dass er den Sklaven nicht mehr befiehlt, sie sollen Alexandros schlagen?«
Marcellus blieb mit großen Augen stehen. »Was? Er hat den Sklaven befohlen, ihn zu schlagen? Das ist unerhört! Ja, dem werde ich auf jeden Fall einen Riegel vorschieben.«
Ich lächelte ihm erleichtert zu. Alexandros musste sich auch weiterhin mit Tiberius herumschlagen, aber wenigstens standen seine Chancen jetzt besser. Marcellus lächelte zurück. Ein Gefühl von Wärme breitete sich in meiner Brust aus, als mir klar wurde, dass ich mit Marcellus auf meiner Seite tatsächlich etwas bewirken konnte. Ich konnte meinem Bruder wirklich helfen. Ich hatte einen ersten Verbündeten gefunden.
Marcellus hatte wohl tatsächlich Anweisungen gegeben, dass die Sklaven meinen Bruder in Ruhe lassen sollten, doch wie ich Wochen später feststellte, war es Juba, der Alexandros die Möglichkeit verschaffte, sich wirklich selbst zu verteidigen.
Ich war auf der Suche nach einem schattigen Plätzchen zum Lesen gewesen, als ich die beiden auf einer entfernten und versteckten Lichtung entdeckte. Mir blieb der Mund offen stehen, als ich meinen Bruder mit einem hölzernen Schwert und einem Schild in der Hand erblickte. Juba zeigte Alexandros, wie man kämpfte! Rhythmisch schlugen ihre Waffen gegeneinander. Als sie innehielten, klang Jubas tiefe Stimme zu mir herüber, während er die Bewegungen meines Bruders korrigierte.
Unbemerkt setzte ich mich hin, die Arme um die Beine geschlungen, das Kinn auf die Knie gestützt. Nach einer Weile legten sie die Waffen beiseite und übten sich im Zweikampf. Juba griff immer wieder von hinten an, bis Alexandros ihn schließlich erfolgreich zu Boden zwang und dort festhielt. Ihr Lachen hing in der warmen Frühlingsluft.
»Ich würde gerne Tiberius’ Gesicht sehen, wenn du diesen Griff bei ihm ausprobierst«, sagte Juba. »Danach wird er sich nie mehr von hinten an dich heranschleichen!«
Sie verließen die Lichtung, ohne mich zu bemerken. Ich fragte mich, ob Alexandros Juba um Hilfe geben hatte oder ob Juba gesehen hatte, was los war, und sich angeboten hatte. So oder so hatte es den Anschein, als hätte mein Bruder selbst auch einen Verbündeten gefunden.
~ Kapitel 20 ~
Die Frau meines Feindes diktierte rasch auf Lateinisch, während sie mit ihrer Dienerin durch den Garten schlenderte. Normalerweise ging ich Livia aus dem Weg, aber heute benötigte ich ihre Erlaubnis, das Anwesen verlassen zu dürfen. Octavia war immer
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