Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
verschwand ein viereckiges Stück aus der Schrankwand, gerade mal groß genug, dass man mit der Hand hineingreifen konnte. Berry steckte ihre Hand in das Loch und kurz darauf ihren ganzen Arm, obwohl doch gleich hinter dem Schrank die Wand hätte kommen müssen, und suchte und tastete. Während sie das tat, wurde ihr Gesichtsausdruck immer finsterer.
Schließlich zog sie den Arm aus dem Loch, schloss die Augen, machte sie wieder auf und bekam einen Wutanfall, wie ihn die Freundinnen bei Berry noch nie gesehen hatten .
„Dieses Schwein!“, schrie sie. „Dieser Mistkerl! Dieser Verräter! Er ist falsch, falsch, falsch!“
„Was ist?“, fragte Maria vorsichtig. „Sprichst du von Hanns?“
„Natürlich, von wem denn sonst!“
„Und was ist jetzt passiert?“, fragte Thuna.
Berry sah drei Atemzüge lang so aus, als wollte sie den Schrank in tausend einzelne Feuerholzspäne zerlegen, doch dann entspannte sie sich. Sie ließ die Schultern hängen, bekam einen müden und traurigen Gesichtsausdruck und sagte:
„Er hat den Knopf. Den Riesenzahn. Ich hatte ihn hier versteckt.“
Thuna, Lisandra und Maria waren sprachlos. Der Riesenzahn! Er machte nicht nur unverletzbar, er war auch der Schlüssel für das Gefängnis von Torck. Wer den Riesenzahn besaß, konnte den Gefangenen jederzeit befreien. Hanns hatte es schon einmal versucht. Diesmal hatte er sich damit begnügt, den Riesenzahn zu klauen und zu verschwinden. Aber was würde er damit tun? Würde er zurückkommen, um Torck auf Amuylett loszulassen?
Viego Vandalez war ebenso fassungslos wie die Mädchen, als er es erfuhr.
„Du sagtest, du würdest ihn absolut sicher aufbewahren!“, brüllte er Berry an. „Und dann versteckst du ihn in eurem Zimmer?“
„Nicht in meinem Zimmer! Er war ganz woa nders! Ich habe nur den Zugriff in unserem Zimmer untergebracht. Aber er war gut getarnt und mit den besten Verschlusszaubern versehen, die ich kenne! Ich bin eine Meisterdiebin, ich kann nicht nur Hochsicherheitsschlösser knacken, ich kann auch welche basteln! Ich war mir ganz sicher, dass er den Zugang weder findet noch aufkriegt!“
„Falsch gedacht!“
Berry war am Boden zerstört, deswegen ließ der Halbvampir sie nach einem kurzen Wutausbruch seinerseits in Ruhe. Es war ja sowieso nicht mehr zu ändern.
„Ich werde es Grohann sagen müssen.“
Berry nickte ergeben.
„Ich komme mit, wenn Sie es wünschen.“
„Lass nur, Berry. Ich wollte mich sowieso noch mal mit ihm unterhalten, bevor wir aufbrechen.“
„Heißt das, ich darf immer noch mitkommen nach Moos Eisli?“
„Wohin willst du denn sonst, du Satansbraten?“
Berry lächelte dankbar.
„Glauben Sie mir, Herr Vandalez: Dass ich so bodenlos versagt habe, ist Strafe genug. Ich weiß nicht, wie ich jemals darüber hinwegkommen soll!“
„Ich sage dir, wie du darüber hinwegkommst: nämlich so wie alle Leute, die versagen oder sich etwas vorwerfen, das nicht mehr gut gemacht werden kann. Du lebst einfach weiter und gibst dein Bestes. Ich kann dir aus eigener Erfahrung versichern, dass das klappt.“
Erst zwei Wochen später stellte sich heraus, dass Berrys Knopf vermutlich nicht das Einzige war, was Hanns aus Sumpfloch entwendet hatte. Die staatlichen Ermittler stellten fest, dass Eyl, die tote Maküle, verschwunden war. Aufgrund der Spurenlage geriet der Herrscher von Fortinbrack unter Verdacht, doch da er zu diesem Zeitpunkt schon wieder in seinem eigenen Reich weilte und jede Verstrickung in diese Angelegenheit abstritt, konnte der Fall nicht restlos auf geklärt werden.
Viego Vandalez reiste am späten Nachmittag ab und nahm Gerald, Scarlett und Berry mit. Zu diesem Zeitpunkt waren auch schon die Kutschbusse eingetroffen. Schweren Herzens schulterte Lisandra nach dem vorgezogenen Abendessen ihr Gepäck und machte sich mit Maria und Lisandra auf den Weg zum Bus nach Quarzburg, der draußen auf der Straße auf seine Reisegäste wartete.
Bevor Lisandra in den Bus einstieg, warf sie noch einen Blick zurück auf die Festung: Wann würde sie diesen Ort, der ihr wahres Zuhause war, wiedersehen? Würde sie ihn jemals wiedersehen? Sie riss sich los, stieg die Fahrgasttreppe hoch und betrat den Innenraum des alten Kutschkastens.
„Hey, Lissi!“, rief Geicko, der schon auf einer Bank saß. „Setzt du dich neben mich? So wie in alten Zeiten?“
Diese Frage zauberte ein Lächeln in Lisandras Gesicht.
„Gerne!“, rief sie und ließ sich auf den Platz neben Geicko sinken.
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