Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
gemacht, solche Gedanken nicht zu beachten, da sie fand, dass es sie nichts anging, was andere Menschen im Geheimen fühlten. Doch dass etwas gedacht wurde, das spürte sie doch immer sehr deutlich. In diesem Fall nicht. Der Mann schien komplett gedankenlos zu sein.
„Er möchte wohl nicht mit uns fahren“, sagte Thuna vorsichtig, da Alban Anstalten machte, aus dem Schlitten zu springen, um dem alten Mann hinterherzulaufen.
„Das können wir nicht verantworten!“, rief Alban. „Wenn er erfriert, ist es unsere Schuld!“
Zum Glück – oder zum Pech für den alten Mann – hatte der Schlittenführer keine Geduld und weit weniger Mitgefühl als Alban von Montelago Fenestra. Nachdem er seine Wölfe beruhigt und sie wieder auf die Straße gelenkt hatte, beschleunigte er so plötzlich das Tempo, dass Alban hintenüber auf seinen Sitz fiel und wohl oder übel mit ansehen musste, wie der alte Mann, bevor sie ihn hilflos in der eiskalten Einöde zurückließen, eine kräftige Schneedusche abbekam. Ob er darunter begraben wurde oder nicht, konnten sie nicht mehr feststellen, denn der Schlitten war weg, bevor sich die Schneewolke wieder lichtete.
„Als wir endlich hier ankamen und zu dritt das Gepäck in den Innenhof geschleppt hatten“, hier machte Thuna eine Pause, damit Scarlett und Berry verstehend und mitleidig nicken konnten, „sind wir einer komischen, leuchtenden Person begegnet, die Marias Vater für ein Gespenst hielt.“
„Oh, war das peinlich!“, sagte Maria und bekam gleich darauf einen Hustenanfall.
„Er begrüßte sie“, berichtete Thuna, „und wollte ihr die Hand schütteln, was sie ihm verweigerte. Dann bat er sie, uns beim Schleppen des Gepäcks zu helfen, doch auch das lehnte sie ab.“
Berry hielt sich am Tisch fest und machte große Augen.
„Ihr wisst schon, was das war?“, fragte sie entsetzt.
„Nein, keine Ahnung. Aber als Marias Vater an ihr vorbei wollte, hat sie ihn in den Schnee geschubst und gesagt, er soll gehen.“
„Wenn er doch bloß gegangen wäre …“, stöhnte Maria.
„Tja, das hat er nicht getan“, erzählte Thuna und klang noch müder als zuvor. „Er hat sie beschimpft und verlangt, ihren Vorgesetzten zu sprechen. Daraufhin hat sie ihn angefasst, ich weiß nicht, wie, jedenfalls ist er zusammengeklappt und ohnmächtig in den Schnee gekippt. Es war schrecklich! Wir hatten Angst, dass er tot ist!“
„Dann kam eine Frau“, erzählte Maria, „ein richtiger Muskelprotz in einer sehr engen Uniform und hat uns ausgefragt. Wer wir sind, warum wir um diese Zeit herkommen, wer der Mann im Schnee ist und so weiter … Ich weiß nicht, wie das alles ausgegangen wäre, wenn nicht irgendwann Estephaga aufgekreuzt wäre und uns gerettet hätte!“
„Uns und Marias Vater. Den hat sie nämlich wieder aufgeweckt und mit auf die Krankenstation genommen. Wir haben dann Marias Gepäck nach oben geschleppt und sind als Nächstes zur Krankenstation gerannt. Dort schlief Marias Vater selig und süß. Estephaga sagt, er hat keinen Schaden davongetragen.“
„Zum Glück!“, sagte Berry.
„Ihr Armen“, meinte Scarlett. „Aber ihr solltet wissen, dass das kein Gespenst war heute Nacht.“
„Sondern?“, fragte Maria.
„Eine Maküle“, antwortete Berry. „Eine magikalische künstliche Lebensform. Sie sollen sehr gefährlich sein. Grohann hat sie mitgebracht, damit sie auf uns aufpassen.“
Dass Sumpfloch womöglich geschlossen werden sollte, erwähnten Berry und Scarlett lieber nicht. Ihre Freundinnen sahen nicht so aus, als könnten sie auch nur eine weitere schlechte Nachricht vertragen.
„Habt ihr euch wenigstens ausgeruht, nachdem ihr auf der Krankenstation wart?“, fragte Berry.
Thuna und Maria schüttelten die Köpfe.
„Nein, wir sind direkt hierhergekommen.“
„Das ist hart!“, sagte Berry mitfühlend. „Vielleicht nehmt ihr das nächste Mal doch besser den Kutschbus?“
„Worauf du dich verlassen kannst!“, brummte Maria und musste gleich darauf niesen. „Hat jemand ein Taschentuch für mich? Meine sind nicht mehr aufnahmefähig!“
Berry kramte aus ihrer Rocktasche ein Spitzentaschentuch hervor. Es stammte aus einer anderen Zeit ihres Lebens. Mittlerweile war es verschlissen und hatte ein kleines Loch.
„Hier!“, sagte sie.
Während sich Maria kräftig schnäuzte, betrat Grohann den Hungersaal. Er sah Thuna nicht an und auch sie starrte woandershin. Doch sie spürte, dass er sie begrüßte, in der wortlosen Sprache, die sie beide zu
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