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Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)

Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)

Titel: Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Halo Summer
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durch einen kalten, ungeheizten Kellergang schlenderten.
    „Wenn wir so weitermachen, wird das nichts mehr“, meinte Lisandra. „Wir lenken uns gegenseitig ab.“
    „Dann müssen wir uns trennen.“
    „Müssen wir wohl“, sagte Lisandra, doch weder sie noch Haul machten Anstalten, das zu tun. Stattdessen lehnte Lisandra ihren Kopf an seine Schulter und lächelte still vor sich hin.
    „Ich werde wieder ins Freie gehen“, erklärte Haul nach einiger Zeit. „Es kommt mir widersinnig vor, einen Raben drinnen zu suchen.“
    „Dann bleibe ich in der Festung. So laufen wir uns nicht wieder über den Weg.“
    „Gute Idee“, sagte Haul und es vergingen immerhin nur zehn Minuten, bis sie es schafften, sich zu trennen und in unterschiedliche Richtungen aufzubrechen.
    Lisandra wanderte daraufhin durch etliche Kellergänge und war anfangs ganz euphorisch. Doch mit jeder Ecke, um die sie ging, und mit jedem weiteren Schritt, den sie in der dunklen Kälte zurücklegte, wurde sie nüchterner. Denn jetzt, da Haul nicht mehr bei ihr war und sie in einen unerklärlichen Zustand hirnloser Beglückung versetzte, wurde ihr klar, dass durch diesen Tag nichts besser geworden war. Rein gar nichts. Wenn Lisandra versuchte, sich ihre Zukunft vorzustellen, sah sie einen Weg vor sich, der immer unwegsamer wurde, bis er eines Tages im Nichts enden würde. Was erwartete sie denn schon?
    Wie so oft in letzter Zeit dachte Lisandra an den Gefangenen in der Tiefe der Festung. An Torck, der das gleiche Talent hatte wie sie, der nicht sterben konnte und über die Jahrtausende hinweg so grausam geworden war, dass man ihn für immer eingesperrt hatte. Ob Torck auch mal ein Mädchen geküsst hatte und glücklich gewesen war? Ob er sich noch daran erinnerte? Lisandra wollte sich für immer an diesen Nachmittag erinnern, aber sie wusste nic ht, ob es ihr gelingen würde.
    Sie beschloss, den kalten Keller zu verlassen. Hier war der Rabe nicht. Auf der Suche nach der Treppe ins Erdgeschoss verlief sie sich einige Male und musste sogar eine Mauer durchqueren, um ihr Ziel zu erreichen. Als sie endlich im Erdgeschoss ankam , schaute sie ungläubig aus den Fenstern: Draußen war es dunk e l! War sie wirklich so lange durch den Keller geirrt? War die Sonne schon untergegangen?
    Es traf Lisandra wie ein Schlag auf den Kopf: Sie hatte versagt! Vollkommen versagt. Sie hatte einen ganzen Tag lang Zeit gehabt, den silbernen Raben zu suchen, doch sie war ihm keinen einzigen Schritt näher gekommen. Nicht, weil sie alles versucht hatte und gescheitert war, sondern weil sie ihre Zeit vergeudet hatte. Wie benommen stieg Lisandra irgendeine Treppe hinauf und ging einen Flur entlang, von dem sie glaubte, dass er in den Angestellten-Trakt führte. Sie wollte nämlich an einem Ort sein, wo sie auf niemanden treffen würde, den sie kannte.
    Lisandra bog noch einmal ab und als sie eine Ecke gefunden hatte, von der sie glaubte, dass dort so schnell keiner vorbeikommen würde, hockte sie sich auf den Boden und fing an zu heulen . Sie weinte und heulte und hasste und verachtete sich und dachte, dass es nie ein blöderes und nutzloseres Mädchen gegeben hatte als sie. Natürlich war sie als Fünfte in diese Welt gekommen! Weil das Unglück und das Versagen ihre einzigen Stärken waren! Sie konnte nicht richtig lesen und schreiben und war sowieso in keinem Fach und in keiner Übung besonders gut. Yu Kon machte kein Geheimnis daraus, dass sie die schlechteste Schülerin war, die er jemals gehabt hatte, und das, obwohl sie jeden Tag an ihre Grenzen ging. Und dann, wenn es einmal in ihrem Leben darauf ankam, aufmerksam zu sein und sich auf ein wichtiges Ziel zu konzentrieren, dann knutschte sie mit einem Jungen herum statt sich anzustrengen. Wie konnte man so unfähig sein? Und so dumm? Wie sollte sie jemals darüber hinwegkommen, dass sie so eine Niete war? Sie hatte ihren Kopf in ihren Armen und in ihrem Schoß vergraben und weinte, bis ihr der Kopf fast platzte. Gleichzeitig wusste sie genau, dass dadurch nichts besser werden würde. Sie konnte heulen, bis sie innerlich austrocknete und Krämpfe bekam, aber sie würde dadurch keine weniger schlimme Versagerin werden.
    Irgendwann gingen ihr die Tränen aus. Ihr Kopf tat so weh, dass sie fast nicht mehr denken konnte und ihr Nase war so zugeschwollen, dass sie mit dem Mund immer wieder nach Luft schnappen musste, um nicht zu ersticken. In einem dieser verzweifelten Momente schaute sie auf, um sich wohl zum hundertsten Mal

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