Mondscheingeflüster
bekommen. Aber selbst das war Kathrin im Moment vollkommen gleichgültig. Zurück in ihrem Zimmer, schälte sie sich mit klammen Fingern aus den Kleidern. Mit viel Begeisterung hatte sie die schicken Sachen gekauft, nur damit Ted sie bewunderte! Und nun war es so schiefgegangen. Er würde ihr keinen Seitenblick mehr gönnen und wahrscheinlich kein halbes Wort mehr an sie richten. Warum hatte sie sich nur auf so eine Geschichte eingelassen? Warum hatte sie ihm verschwiegen, wie alt sie war? Aber warum hatte er auch plötzlich so zudringlich werden müssen?
Sie zog ihr Nachthemd an, darüber einen dicken Wollpullover und warme Socken an die Füße. Zu einer Kugel zusammengerollt, lag sie schließlich im Bett und spürte, wie ganz langsam wohlige Wärme ihren Körper einhüllte.
Morgen habe ich bestimmt eine Erkältung, das war das Letzte, was sie dachte, ehe sie einschlief.
Am nächsten Morgen schien strahlend die Sonne, der Himmel war blau und wolkenlos. Auf den Straßen war der Schnee schon zu braunem Matsch zerfahren und zertreten, aber auf Dächern und Feuerleitern, auf Bäumen und Balkongittern lag er noch als weiße, im Licht der Sonne funkelnde Verzierung. Kathrin erwachte spät, es war schon fast elf Uhr. Sie spürte weder ein Kratzen im Hals noch musste sie niesen oder husten. Genau genommen fühlte sie sich sogar ziemlich gut. Ausgeschlafen, gestärkt und sehr hungrig. Sie bestellte ein üppiges Frühstück mit Rührei, Schinken, Wurst und Käse, mit verschiedenen Brotsorten, mit Tee und zwei Gläsern Grapefruitsaft. Sie aß fast alles auf, legte sich wieder ins Bett und schlief noch einmal ein. Diesmal war es drei Uhr, als sie aufwachte. Sie nahm ein heißes Bad, stellte sich dazu leise Musik an und holte eine kleine Flasche Sekt aus der Minibar, die sie genießerisch leer trank. Als sie endlich angezogen war und die nassen Haare trocken föhnte, fühlte sie sich plötzlich sehr einsam. Draußen brach die frühe Dezemberdämmerung herein, der Abend war noch lang, und sie war ganz allein. Trübsinnig betrachtete sie die Kombination aus weißer Hose und weißem Glitzerpulli, die sie gestern gekauft hatte, um sie am zweiten Abend mit Ted zu tragen. Diesen zweiten Abend gab es nun nicht. Sie würde mutterseelenallein in ihrem Hotelzimmer sitzen und sich ein langweiliges Fernsehprogramm ansehen. Warum nur war sie nicht mit ihren Eltern nach Oregon geflogen?
Als das Telefon klingelte, stürzte sie an den Apparat. Es war Jane, Teds Mutter. Ihre Stimme klang fröhlich und unbefangen, Ted hatte ihr also höchstwahrscheinlich nichts erzählt.
»Hallo, Kathrin! Wie fühlst du dich? Ich dachte eigentlich, du würdest heute Abend wieder mit Ted ausgehen, aber er sagt, er hätte schon etwas anderes vor. Nun wollte ich dich fragen, ob du nicht Lust hättest, mit mir und Bob zu Abend zu essen? Außer, du hast schon irgendeine aufregende Verabredung getroffen!«
»Nein. Keine. Jane, das wäre wunderbar. Ich habe gerade überlegt, was ich nur anfangen soll!«
»Prima. Bob holt dich auf dem Heimweg von seinem Büro ab, das ›Plaza‹ liegt sowieso auf seiner Strecke. Er wird so gegen sechs Uhr da sein.«
Kathrin fühlte sich nach dem Gespräch gleich besser, wenn sie auch eine leise Furcht nicht unterdrücken konnte: Wie, wenn sie aus irgendeinem Grund doch Ted über den Weg liefe! Sicher würde sie im Boden versinken vor Scham. Am liebsten wollte sie ihn in ihrem ganzen Leben nicht wiedersehen.
Kurz vor sechs rief Bob an, er sprach vom Autotelefon aus und sagte, er sei gleich da.
»Könntest du schon hinunter auf die Straße kommen? Dann muss ich keinen Parkplatz suchen!«
»Natürlich. Ich komme sofort!«
Kathrin schlüpfte in ihren Mantel, griff ihre Handtasche. Schnell, schnell, Bob sollte nicht warten müssen. Sie brauchte nicht noch jemanden von der Familie zu verärgern.
Klirrende Kälte schlug ihr entgegen, als sie auf die Straße trat. Es war jetzt richtig dunkel, aber die Straße noch voller Menschen und Autos. Ohrenbetäubendes Hupen, hastende Fußgänger. Kathrin sah sich um. Von Bob und seinem Wagen konnte sie im Moment noch keine Spur entdecken. Sie blieb einfach stehen. Sicher tauchte er jeden Moment auf.
Nach alter Gewohnheit hatte sie ihre Handtasche nicht über die Schulter gehängt, sie hielt den Trageriemen in der Hand, zweimal um ihr Handgelenk geschlungen. Sie schlenkerte die Tasche leicht hin und her. Plötzlich spürte sie einen scharfen Ruck, das Leder schnitt ihr schmerzhaft ins
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