Mondscheinjammer
den Kühlschrank und nahm eine Flasche Wasser heraus. Dann stieß ich die Tür zur Veranda auf und trat hinaus in den milden Abend.
Der Mond war nur eine dünne Sichel am Horizont, und ich konnte das laute Zirpen der Grillen hören. Es klang fast wie Musik und hatte irgendwie was Tröstliches an sich.
Mein Blick blieb an dem staubigen Pickup in unserer Einfahrt hängen.
Sam war also noch auf der Farm.
Irgendwo.
Wahrscheinlich versteckte er sich vor mir, dachte ich verbittert.
Langsam stieg ich die Stufen der Veranda hinunter und lief am Haus entlang auf den Hühnerstall zu. Die Tür war leicht geöffnet. Ich sollte sie lieber schließen, bevor am nächsten Morgen kein einziges Huhn mehr am Leben war. Nachts schlichen oft Füchse über das Gelände. Und Wölfe! Vor allem Wölfe!
Ich lachte freudlos bei dem Gedanken.
Als ich den Stall betrat, stieg mir sofort der Geruch von frischem Heu in die Nase. Die Hühner dösten auf ihren Stangen und in einer der Ecken stand Sam und sah mich fast genauso erschrocken an wie ich ihn.
"Ich dachte, die Tür…", stammelte ich.
"Ich wollte nur gucken, ob alles in Ordnung ist", begann er gleichzeitig. Er sah müde aus. Seine blauen Augen lagen in dunklen Höhlen und in seinem Haar hingen einzelne Halme Stroh. "Ich fahre dann besser mal."
Ich nickte langsam.
Er machte ein paar Schritte auf mich zu und blieb dann unschlüssig stehen. "Geht es dir gut?" Er musterte mich besorgt.
"Alles bestens", erwiderte ich nervös. Viel zu Nervös für meinen Geschmack. "Und bei euch?"
Er zuckte die Schultern.
"Du, Lily, das da neulich…", setzte er an.
"Ja?" Mein Herz begann unwillkürlich schneller zu schlagen. Das war doch lächerlich. Wenn Sam ernsthaftes Interesse an mir gehabt hätte, hätte er sich in den letzten Tagen sicherlich nicht vor mir versteckt. Wie zur Bestätigung sagte er: "Das tut mir leid. Ich war müde und traurig. Mein Bruder…"
"Ach so, ja", ich senkte den Blick. Wie unangenehm. Wieso tat sich in solchen Situationen eigentlich nie der Boden auf und verschluckte einen? Doch was hatte ich eigentlich erwartet? Wieso sollte Sam sich ausgerechnet in mich sommersprossiges Lockenmonster verlieben? Nicht einmal Tom schien jemals wirkliches Interesse an mir gehabt zu haben. Schon bei der nächstbesten Gelegenheit hatte er sich nach etwas Besserem umgesehen: Groß, schlank, blond. Kimberly. Viel schöner konnte ein Freitagabend doch gar nicht laufen.
"Ich habe mich gehen lassen. Das ist nicht besonders typisch für mich." Er kratzte sich verlegen am Kopf.
"Wohl nicht", murmelte ich. Ich fühlte, dass ich rot geworden war. Die Hitze stieg mir regelrecht ins Hirn, und ich wagte es nicht, seinen Blick zu erwidern. Stattdessen starrte ich eines der Hühner auf der Stange an. Ein Huhn auf der Stange müsste man sein. Den ganzen Tag nur dösend Eier legen, keine Probleme, keine Sorgen.
"Geht es dir nicht gut?", fragte er unvermittelt und riss mich aus meinen Gedanken.
"Mir ist nur… schwindlig." Ich stützte mich hilfesuchend an der klapprigen Holzwand ab, als mir bewusst wurde, dass ich tatsächlich schwankte. Das war nun wirklich demütigend.
Sam war sofort an meiner Seite und hielt mich fest. "Komm, setzt dich, setzt dich kurz und trink etwas Wasser." Seine Stimme klang ganz nah. Viel zu nah. Mit sanfter Gewalt drückte er mich auf einen der zahlreichen Heuballen.
Ich wollte ihn wegschieben, aber ich war zu schwach. Meine Finger zitterten, als ich die Flasche aufschraubte und sie an meine Lippen setzte.
Sam sah mich an, und ich verlor mich einen Moment lang in seinen wunderschönen Augen. Augen, die mich jetzt mitleidig ansahen.
"Alles ok?" Sam saß so dicht neben mir, dass ich am liebsten weggerutscht wäre, doch dann hätte ich mal eben einen gepflegten Abgang hingelegt.
Ich nickte nur und senkte den Blick. Nervös scharrte ich mit meinem Schuhen durch das frische Heu. Bloß nicht hinsehen. Wenn ich nichts mehr sagte, würde er vielleicht irgendwann einfach verschwinden.
Doch er dachte gar nicht daran. Seine Hand tätschelte unbeholfen meinen Oberschenkel, und ich unterdrückte ein Fluchen.
"Das kommt sicher von der Hitze." Seine Stimme war mit einem Mal irgendwie rau.
Schließlich zwang ich mich den Kopf zu heben, verwirrt über so viel Nähe, und sah ihn an.
"Du hast so schöne Augen", sagte ich schwach. "Sie sind so blau."
Täuschte ich mich, oder war das etwa ein Lächeln? Vorsichtig hob er eine Hand und strich mir liebevoll über die Wange. Er roch
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