Mondscheinzauber - Jones, C: Mondscheinzauber - Moonshine
voll besetzt. Aber ein zusätzliches Paar Hände …« An dieser Stelle brach Annie ab und unterzog Cleo mit ihren Knopfaugen erneut einer kurzen Musterung. »Oder auch zwei, können wir immer gut brauchen.«
Cleo verstand die Anspielung. »Ich bin gerne bereit zu helfen, bei, äh, was auch immer. Ich scheue keine harte Arbeit. Und ich heiße Cleo. Freut mich, Sie kennenzulernen.«
»Gleichfalls, meine Liebe«, sagte Annie. »Und schön zu wissen, dass Sie nicht nur reine Dekoration sind. Geht also nur durch, Dylan, du kennst ja den Weg.«
Cleo folgte Dylan durch zwei weitere Sicherheitstüren in einen hell erleuchteten Raum. Es sah aus wie im Jugend-Freizeitraum einer Kirchengemeinde, da standen abgewetzte bequeme Sessel, ein Billardtisch und ein Fernseher, in dem in leuchtenden Farben eine Tanzsendung lief, diverse Brettspiele lagen herum, in der Ecke befand sich ein überquellendes Bücherregal – und der Raum war voller Männer.
»Ist das ein Obdachlosenasyl?«, fragte Cleo, peinlich berührt von einem Trommelfeuer anerkennender Pfiffe, das sie beim Eintreten begrüßte.
»So in der Art. Aber keine öffentliche Einrichtung. Es ist ein offenes Haus«, sagte Dylan, schmunzelte über das Pfeifkonzert und hob grüßend die Hand, als mehrere raue, bärbeißige Stimmen ihm ein Hallo zuriefen. »Die Jungs können ein Bad nehmen, bekommen ein Bett für die Nacht und eine warme Mahlzeit. Es wird von Ehrenamtlichen betrieben, läuft nach dem Motto ›Wer zuerst kommt, mahlt zuerst‹ und ist immer voll – vor allem in so kalten Nächten wie dieser.«
»Und was ist mit Trinken und so?«
»Alkohol ist strikt verboten. Sie müssen ihre Dosen und Flaschen an der Tür abgeben. Außerdem werden sie durchsucht. Keine Messer und keinerlei Waffen. Und Drogen auch nicht. Wenn irgendwer bei einer Prügelei oder beim Klauen erwischt wird, bekommt er Hausverbot. Und wird nie wieder hereingelassen. Die meisten würden das einfach nicht riskieren.«
»Ganz schön strenge Regeln. Und ist es nur für Männer? Keine Frauen?«
»Nein. Es leben weitaus mehr Männer als Frauen auf der Straße, und es wäre Wahnsinn, an einem Ort wie diesem gemischte Schlafplätze anzubieten, weil – na ja, weil eben. Es gibt in dieser Stadt auch eine Notunterkunft für Frauen – was selten ist –, aber es ist einfach nicht genug Platz für alle.«
Cleo, noch immer mit rotem Gesicht wegen der fortgesetzten Pfiffe, schüttelte traurig den Kopf. Sie hätte nicht gedacht, dass es derart viele Obdachlose gab, nicht in diesem Land, nicht im einundzwanzigsten Jahrhundert.
Dann, noch immer von Pfiffen begleitet, eilte sie in Dylans Gefolge durch den Raum und gelangte geradewegs zur Quelle des Kantinengeruches.
In einer hell erleuchteten Großküche waren drei jüngere Mädchen und ein Mann mit Dreadlocks hektisch damit beschäftigt, einer langen Warteschlange von Männern große Teller mit Essen zu füllen.
»Hi, Dylan!« Sie winkten alle fröhlich mit den Schöpfkellen. »Heiliger Himmel! Als was kommt ihr denn?«
»Sonny und Cher«, sagte Dylan und klang leicht ermüdet. »Lange Geschichte. Das hier ist Cleo – können wir helfen?«
Noch immer verwirrt, doch erfreut zu sehen, wohin Mimi Pashley-Royles Spendengelder flossen, gesellte sich Cleo zu den anderen hinterm Tresen und war bald dabei, einer Reihe durchgefrorener, hungriger und sehr dankbarer Empfänger Eintopf oder Curry auf die Teller zu geben und große Becher mit heißem Tee zu befüllen.
Ein bisschen fragte sie sich, ob sie womöglich im nächsten Augenblick aus einem Traum erwachte. Oder ob dies noch so ein Nebeneffekt von Mad Mollys Wein war: Befand sie sich in Wirklichkeit noch immer im Gemeindesaal von Hazy Hassocks bei Mitzis Party und litt nur unter irgendeiner mächtigen, magisch hervorgerufenen Halluzination?
Nein, das konnte nicht sein. Das war wohl Wirklichkeit. Sie hatte ja schließlich den ganzen Abend keinen einzigen Tropfen Wein angerührt. Den ganzen Abend lang … Und was war das eigentlich für ein Abend? Die letzten paar Stunden hatten ihre Welt völlig auf den Kopf gestellt. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war oder wo sie sich überhaupt befanden. Aber irgendwie spielte es auch keine Rolle.
Sie tat etwas Sinnvolles, sie hatte Dinge gesehen, die sie noch nie zuvor gesehen hatte, und ihre Einstellung würde sich dadurch dauerhaft ändern.
Und dafür hatte sie Dylan zu danken. Dem reichen, verwöhnten, vornehmen – und absolut hinreißenden – Dylan Maguire,
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