Mondschwingen (German Edition)
den Boden gepresst, robbte sie über
das Pflaster, drückte sich an eine Hauswand.
„Da steht sie, die
Majestät! Nicht mehr als ein Häufchen Elend.“ Die Stimme war tief und ließ
Toivas kurze Haare zu Berge stehen. Raue Hände packten sie unter den Achseln
und zogen sie empor. Ein bärtiger Mann mit langen, schwarzen Haaren hob sie vor
sich in den Sattel und schlug ihr von hinten ins Gesicht. „Wenn du versuchst zu
fliehen, bringe ich dich um.“
Der Schlag war ohnehin
so stark, dass Toiva zu benommen war, um zu flüchten. Sie spürte unter ihren
Händen die Muskeln des Pferdes, sie bewegten sich rhythmisch mit seinen
klappernden Schritten.
Vorsichtig schaute sie
auf. Am anderen Ende der Gasse sah sie ein Lagerhaus, dessen Dach lichterloh
brannte. Die Türen waren weit geöffnet und verschlangen wie ein gähnendes Maul
alle Elstern, die von den Pferden und Jägern hineingedrängt wurden.
Noch ehe Toiva verstand,
war es zu spät. In halsbrecherischem Galopp pflügten das Pferd und sein Reiter
alles nieder, was ihnen in den Weg kam - selbst Menschen wurden unter den Hufen
begraben. Wiehernd kam das Pferd im Lagerhaus zum Stehen.
Der Mann, der hinter
Toiva im Sattel saß, hielt ihr einen Dolch an die Kehle. Um sie herum herrschte
blankes Chaos; Elstern schrien, kämpften gegen eine Übermacht an Feinden und
wurden gleichzeitig von den Jägern auf ihren Rössern weiter zur Lagerhalle
geschoben. Das Durcheinander wurde mit einem ohrenbetäubenden Schrei zerbrochen.
Der bärtige Mann hinter Toiva brüllte so laut, dass sie fast vornüber vom Pferd
gefallen wäre.
„Ich hab die Königin vor
mir!“, schrie er. Manche Menschen und Elstern, die in der Nähe des Lagerhauses
kämpften, hielten inne und schauten zu dem Reiter auf. „Seid still und hört mir
zu.“ Immer leiser wurde es in der Gasse, die Stille breitete sich aus und
begrub das letzte Waffengeklirr unter sich. Toiva war selbst von weit hinten in
ihrem grünen Mantel nicht zu übersehen.
„Ihr geht ins Lagerhaus
oder Eure Königin wird sterben!“ Toiva schloss die Augen. Sie hatte es geahnt,
seitdem sie auf dem Pferd gesessen war. Die Mondschwingen rührten sich nicht,
sie konnten nur Toiva anstarren, wie ein Schwarm stummer, dummer Fische.
„Na was?“, brüllte der
Reiter und schaute über das Meer aus Köpfen. „Je länger ihr wartet, desto
wahrscheinlicher ist es, dass eure Königin sterben wird.“
Einar war der Erste, der
sich erhob und auf sie zukam. Die Menge teilte sie und ließ ihn hindurch. Er
zog weitere Elstern mit sich, immer mehr lösten sich aus ihrer Starre und
folgten ihm, als klebten sie an seinen Fersen.
Sag, dass sie zurück sollen, dass sie kämpfen müssen , dachte Toiva. Du musst es ihnen nur befehlen, nur ein paar Worte.
Doch sie sagte nichts,
sie ängstigte sich zu sehr. Hätte sie nur ein Mal den Mund aufgemacht, hätte
ihr der Reiter die Kehle durchgeschnitten. Ein Wort nur und sie war tot. Nun ist es an
der Zeit eine gute Königin zu sein. Beweis es.
Sie wollte keine gute
Königin sein, nicht jetzt.
Du bist ein Feigling! Einar wird dich hassen, Einar und all die
anderen.
Sie hatte längst
aufgehört zu zählen, all die Elstern, die ins Lagerhaus strömten. Manche
blickten einen Wimpernschlag lang zu ihr herauf, aber niemand sagte etwas zu
ihr.
Toiva blickte in die
Lagerhalle. Zwischen den Kisten und Netzen stand Einar und schaute zum Boden hinab.
„Genug“, knurrte ein
Jäger neben ihnen und schwenkte den Arm in der Luft. „Es sind genug. Schließ
die Türen!“
Der Reiter hinter Toiva
stieß sie vom Pferd. Sie spürte, wie sie auf dem Pflaster aufkam, spürte Hände,
die sie zur Lagerhalle zerrten und sie ins Innere stießen. Sie landete auf den
Knien, blickte zurück und sah nur noch die sich schließenden Türen. Wumm. Sie war gefangen und mit ihr eine
ganze Armee.
Rauch überall. Toiva
konnte kaum atmen, so dick und schwer war die Luft.
„Ich dachte, er bringt
dich um. So oder so.“ Einar stand hinter ihr. Er sah ihr über die Schulter, zum
geschlossenen Tor, das mittlerweile ebenfalls in Flammen stand.
„Sag schon, sag es schon“,
flüsterte Toiva. „Ich hätte euch den Befehl geben sollen, zu kämpfen und nicht
zu mir zu kommen.“
Einar sagte nichts.
Das Dach über ihren
Köpfen brannte lichterloh. Ein brennender Balken stürzte herab und erschlug ein
Dutzend Elstern. Die Menge stob schreiend davon, Kisten und Tonnen fingen
Feuer.
Eine Handvoll
Mondschwingen erhob sich wie eine Schar
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