Mondschwingen (German Edition)
Riesen. Keiner von ihnen machte einen Laut - Nigs
hatte ihnen befohlen den Mund zu halten, als sie die Schiffe der Elstern
entdeckt hatten.
Keine Lichter brannten
auf dem Deck, keine Stimmen waren zu hören. Es ist so still, dachte Rubens,
totenstill.
Was, wenn die Elstern
nur auf sie warteten, wenn sie auf den Schiffsplanken lagen und den lauter
werdenden Schritten lauschten? Es war eine absonderliche Angst, die er
plötzlich fühlte; er fürchtete sich davor, sie seien tot, und gleichermaßen
ertrug er nicht die Vorstellung, gegen sie kämpfen zu müssen. Nigs gab einem
der Jäger den Befehl, an der zerbeulten Schiffswand heraufzuklettern, er hielt
in jeder Hand ein Messer und rammte es in das morsche Holz. Als er oben
angelangt war, sagte er einen ewigen, atemlosen Augenblick lang nichts, bis er
wieder an der Reling erschien und rief: „Hier oben ist niemand. Nur ein paar
Leichen, nicht viele. Die Elstern sind schon aufgebrochen.“
Nigs nickte, als hätte
er es erwartet. „Weiter!“, schrie er und nun rannten sie, auf leisen Sohlen. Je
weiter sie kamen, desto schwerer tat sich Rubens, seine Beine wogen schwer. Er
hustete und schniefte, seine Stirn glühte, das Eis unter seinen Füßen zerfloss
zu weißem Nichts.
Am liebsten hätte sich
Rubens einfach fallen lassen, wäre liegen geblieben und hätte nichts mehr
getan, doch dann erklang ein Schrei, ein einzelner.
„Land in Sicht.“ Es war
Nigs, der rief, immer wieder, ausgerechnet Nigs.
Zusammen mit den
hungrigen Jägern rannte Rubens das letzte Stück, rannte hustend und humpelnd
Skopenvang entgegen.
TOIVA
und der
Beginn der Schlacht
Skopenvang wuchs. Mit
jedem Schritt, dem Toiva sich der Insel näherte, war die Burg ein Stückchen
größer. Wie eine fette Spinne thronte sie über den Dächern und Türmen und
starrte den Mondschwingen und Geistern aus dunklen Fenstern entgegen.
Nur eine Handbreit über
dem Eis rannten sie Skopenvang entgegen, wo die meisten Menschenkrieger schon
hinter der Stadtmauer auf sie warteten und die Waffen gezückt hielten. Hunderte
Köpfe lugten hinter den steinernen Zinnen hervor, die Helme glitzerten in der
noch tiefstehenden Sonne.
Toiva hatte kaum Zeit,
Angst zu haben. Sie rannte, rannte einfach nur, schaute sie nicht um und dachte
nicht daran, was ihr blühte.
Sie hatten nicht lange
fliegen müssen, um endlich all die Berge und Bäume zu sehen, die sich
schattenhaft in der Dämmerung abgehoben hatten. Seitdem hatte sie immer nur
nach vorn geschaut, zur großen Burg, und sie hatte sich geschworen, Liv zu
töten, wo auch immer sie war.
Die ersten Pfeile wurden
geschossen, um sie herum pfiff und sauste es, eine Pfeilspitze streifte Toiva
an der Wange. Blut floss ihr am Gesicht hinab, fühlte sich wie eine Träne an.
Kein einziges Mal wagte Toiva sich zu ihren Männern umzudrehen, aber manchmal
hörte sie es klappern und platschen, wenn einer von ihnen von mehreren Pfeilen
erwischt wurde, das Gleichgewicht verlier und durch die Eisdecke fiel.
Sie stiegen immer höher,
bis es für die Bogenschützen schier unmöglich wurde ihre Feinde zu treffen. Die
Helme der Menschen zogen unter ihnen vorbei, ihre bleichen Gesichter
schimmerten im Zwielicht.
Die Straßen der Stadt
füllten sich schlagartig - aus kleinen Seitengassen und Türen kamen die
Menschen geströmt, als freuten sie sich auf die Neuankömmlinge.
„Wo bleiben die Blumen
und Fanfaren?“, fragte Toiva. „Ich habe mir einen schöneren Empfang gewünscht,
ehrlich gesagt.“ Langsam kam die Angst und sie konnte nichts dagegen tun. Sie
wollte nicht hinunter, erst recht wollte sie nicht kämpfen.
„Was ist“, flüsterte sie
zu Einar gewandt „wenn wir einfach weiterfliegen, zur Burg? Die Feinde sind
abgelenkt und meine Männer sind auch ohne mich stark genug.“
Einar sah sie mit klaren
Augen an. „Lass uns kämpfen, nur ein bisschen. Du bist die Königin, du musst
vorangehen. Ihnen Mut geben. Andernfalls halten sie dich für einen Feigling.“
„Sollen sie doch.“
„Sie kämpfen nicht nur
für sich, sondern auch für ihre Königin.“ Er hob das bleiche Schwert und
marschierte zusammen mit den anderen Mondschwingen zu den Feinden hinunter.
„Wie sehr ich es satt
habe“, knurrte Toiva und folgte ihm. Das Schwert streckte sie weit von sich,
als sie auf das Pflaster hinabsank.
Die Schwerter klirrten
und krachten aufeinander, verkrümmte, hässliche Tänze wurden vollführt, Stiefel
traten auf Stiefel, tote Krieger lagen wie Steine
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