Mondschwingen (German Edition)
König.“
Rubens hängte sich das
Medaillon um den Hals, nahm Kastjas Kopf in die Hände und hob ihn sachte. „Wir
werden die Schlacht gewinnen, die Elstern sind in der Unterzahl.“
Warum sagte er das?
Warum wollte er ihn beruhigen, selbst jetzt noch?
Kastja nestelte mit
bebenden Händen an seinem Gürtel herum und zog einen Dolch hervor. „Nimm und
schneide mir die Kehle durch. Die Schmerzen … sie bringen mich um den
Verstand.“
Rubens erfasste die
Waffe, schwer wog sie in seinen Händen.
„Sag nichts. Überlege
nicht. Es ist gut so.“
Er sollte der Mörder
seines Königs sein, er war es, der ihm den Tod brachte. Welch Ironie des
Schicksals.
Kastja schloss die
Augen, als Rubens ihm die Klinge an den Hals legte. Niemand sagte mehr ein Wort.
Es war still im Zimmer, so still.
„Meine Eltern waren
Mondschwingen“, wisperte Rubens. „Du hast sie getötet.“
Kastjas Augen weiteten
sich. Ob vor Schmerz oder Erstaunen vermochte Rubens nicht zu sagen.
„ Ich bin eine Mondschwinge. Verstehst du? Ich werde kein König sein,
niemals.“
Dann schnitt er ihm in
den Hals, die Klinge glitt nach rechts, Blut sprudelte hervor.
Der Kopf fiel auf den
Boden.
Kastja war tot.
LINUS
und der Thronsaal
Grau und Groß erschien
der Thronsaal hinter den sich öffnenden Türen. Bleiche Lichtfinger fielen durch
deckenhohe Fenster und malten Kreise auf die Wände gegenüber, Staub schwirrte
in der Luft. Mit wehenden Röcken lief die Königin voran, riesige Statuen
flankierten sie wie übermächtige Soldaten.
Donnernd schlossen sich
die Türen hinter Linus. Er sah nach hinten und blickte einem untersetzten
Diener entgegen, der Linus mit schmalen Augen musterte.
„Königinnen“, sagte Liv
und strich über die Lehne ihres Thronsessels „setzten sich wohl in Momenten wie
diesen auf ihren Thronsessel, doch ich mag ihn nicht, mochte ihn noch nie.“ Sie
stieg die Treppen des marmornen Podests hinab, ging auf einen der Kamine zu und
ließ sich in einen Sessel daneben sinken. „Mein Name ist Liv, wie du sicherlich
schon weißt.“ Sie legte den Kopf auf die zusammengelegten Spitzen ihrer Finger
und betrachtete Linus aus trüben Augen. „Du sagtest, dein Name ist Linus, nicht
wahr?“
Er blieb in der Mitte
der Halle stehen, fühlte sich furchtbar verloren. „Warum habt Ihr mich befreit,
die anderen aber nicht?“ Die Frage hatte ihm auf der Zunge gebrannt, obwohl er
ahnte, wie unverfroren und unverschämt sie aus seinem Mund klingen musste.
Er hatte keine Angst, es
war vielmehr Zorn, den er spürte, der langsam in ihm wuchs.
„Ja, eine gute Frage,
denke ich.“ Sie legte den Kopf schief und deutete auf den Sessel gegenüber.
„Verzeih mir meine Unhöflichkeit: setz dich.“
Zögerlich kam er auf sie
und ließ sich in das weiche Polster plumpsen. Er hatte sich die Königin ganz
anders vorgestellt, hässlich natürlich, mit faltigen Händen und langen,
verschmutzten Fingernägeln, einer großen Nase und einer Warze darauf.
Stattdessen lächelte sie ihn an, mit weißen Zähnen und funkelnden Augen. Blonde
Haare umrahmten ihr feingeschnittenes Gesicht, ihr hellblaues Kleid leuchtete
im flackernden Schein des Feuers. Wie konnte solch eine hübsche Frau böse sein?
Man sollte das Blut an ihren Händen kleben sehen.
„In letzter Zeit hatte
ich nicht viele Gäste. Ein bisschen Ablenkung tut mir gut. All das Geschrei und
Geklirr dort draußen … sie rauben mir die Nerven. Manchmal erscheint mir die
Welt hinter den Fenstern sehr finster. Bartock macht dann alle Lichter im Saal
an, in jedem Kamin brennt ein Feuer, damit die Dunkelheit ein Stückchen weicht. Wie sehr ich mich manchmal nach geistreicher
Konversation sehne! All die Edelleute mit ihrem nichtssagenden Geschwätz, die
verunsicherten Hofdamen, die kriechenden Diener.“ Sie sah Linus nicht an, als
sie sprach, überhaupt wirkte es eher so, als redete sie nur mit sich selbst.
„Weißt du was“, sagte
sie und senkte verschwörerisch die Stimme. „Ich wusste, dass du kommen
würdest.“ Sie hatte ihre Hände ineinander gefaltet und ließ sie auf ihrem Schoß
tanzen. „Die ganze Zeit wartete ich auf dich. Ich nahm an, du würdest dich
beeilen, weil dir bewusst war, dass dir nicht mehr viel Zeit bleibt, wenn es
schlecht läuft. Und ich hatte recht; nun sitzt du vor mir.“
Linus saß wie
versteinert in seinem Sessel. Was redete sie da nur? Warum behauptete sie, sie
habe auf ihn gewartet? Sicherlich war sie verrückt oder sie verwechselte
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