Mondschwingen (German Edition)
hinterher, den Bäumen entgegen.
Hinter ihm thronte fett und faul die Bernsteinburg und spie eine Handvoll Jäger
aus.
Mortis hatte sie inzwischen eingeholt und
nun hasteten sie Seite an Seite weiter.
Bäume und trockenes Schilf zogen an ihnen
vorüber, der Boden war sumpfig und gluckerte und gluckste bei jedem Schritt.
„Wer seid Ihr? Warum helft Ihr uns?“
Mortis’ Stimme glich einem Bellen, rau klang es und sehr erschöpft.
Wieder sah der Fremde zurück, sein Blick
blieb kurz an dem Geschichtenerzähler haften, dann sah er an ihm vorbei, zu den
Stimmen und zu den ersten Schritten, die im Sumpfgelände zu hören waren.
„Ich bin ein Sternenjäger.“ Er klang nicht
angestrengt, rannte nun sogar noch schneller.
Linus hielt inne und packte den Arm seines
Vaters, als er an ihm vorbeirauschte.
„Ein Sternenjäger?“, presste Linus atemlos
hervor.
Der Fremde sah zu ihnen zurück. „Ich hätte
Euch längst ausliefern können. Schon vorhin am Ufer.“ Er sah Mortis flehend an.
„Ich habe Eurem Sohn schon vor zwei Nächten das Leben gerettet, falls es Euch
interessiert. Ich habe Kastja einen Pfeil in die Schulter geschossen.“ Immer
mehr Schritte ertönten hinter ihnen im Sumpf.
„Wir können fliegen“, wisperte Linus.
„Das könnt ihr nicht.“ Die Augen des
Fremden funkelten wütend in der Dunkelheit. „Sie werden euch sehen und mit
Pfeilen auf euch schießen. Ihr habt keine Wahl, schätze ich.“
Mortis schüttelte sich. Genug gewartet,
genug gefürchtet! Er lief los und schleifte Linus wortlos mit sich. „Keine Zeit“,
krächzte. „Keine Zeit zu zweifeln.“
Kaum hatte er zu Ende gesprochen, hörte man
ein Sausen, kaum zu hören zwischen ihrem keuchenden Atem und ihren patschenden
Schritten. Ein Herzschlag später sausten mehrere Pfeile an ihnen vorbei, die
meisten blieben in Baumstämmen stecken. Sie hatten nicht einmal Zeit,
überrascht zu sein, stattdessen flüchteten sie weiter, während immer wieder
Pfeile neben ihnen in der Düsternis verschwanden.
Die Stimmen und Schritte kamen näher,
schoben sich heran.
Als sie weiterliefen und Linus erneut kaum
mehr Kraft in den Gliedern hatte, bemerkte er, dass etwas fehlte. Plötzlich
waren zwei Beine verschwunden, ein gepresstes Keuchen, Arme, die sich
weitertasteten.
Linus wirbelte herum und erstarrte. Mortis
lag auf dem Boden, an einen Baum gelehnt. Er atmete flach, während sein Blick
alles und nichts fixierte.
„Was ist?“ Linus kam zögerlich auf ihn zu,
die Schritte des Fremden in seinem Rücken verstummten. „Wir müssen weiter,
Mortis, sonst kriegen sie uns.“ Er kam sich albern vor, so wie er dort stand
und Dinge redete, an die er doch gar nicht glaubte. Er hatte längst verstanden.
Mortis schüttelte den Kopf. „Renn weiter“,
stieß er hervor „ich kann nicht. Drei Pfeile haben mich getroffen, der erste vorhin im Kanal. Ich will nicht, dass du hier
bleibst, renn weiter!“ Er hielt ein Arm vors Gesicht, als wolle er Linus gar
nicht mehr sehen.
Die heranrückenden Sternenjäger waren
vergessen, seine Erschöpfung, die Kälte, die seit seinem Tauchgang an ihm
nagte. Nun gab es nur noch Mortis, Mortis mit den Pfeilen im Rücken.
Er sagte irgendetwas, er wusste selbst
nicht was, er verstand sich kaum, so stark und laut schlug sein wütendes Herz.
Langsam kniete er sich zu Mortis hinunter.
„Aber du kannst doch nicht einfach so sitzen bleiben“, flüsterte er und die
Tränen konnte er kaum runterschlucken.
Der Fremde trat an Linus heran, tippte ihm
auf die Schulter und schob sich in sein Blickfeld. „Wir müssen weiter“, sagte
er. „Wir können nicht warten.“
Linus fuhr herum, wollte etwas sagen, seine
Wut herausschreien, doch da zog ihn Mortis zurück, so schwach, dass Linus mit
einem Mal allen Zorn vergessen hatte.
Langsam schob er sich näher an Mortis
heran. „Das Geheimnis … sagst du es mir jetzt?“ Die Worte verbrannten ihm die
Lippen. Wie feige, wie grausam er sich vorkam! Sag mir das Geheimnis , flüsterte es in ihm, sag es mir, bevor du stirbst. Wenn Mortis nun die Augen schloss,
war nicht nur er verloren, sondern auch sein Geheimnis, das ihm doch erst
seinen Tod gebracht hatte.
Mortis öffnete den Mund, wollte etwas
sagen, irgendetwas. Er hustete, Blut rann an seinem Kinn hinab und verlor sich
in seinem Bart. Stirb nicht, dachte Linus, nicht jetzt. Er wischte sich die Tränen
fort.
„Wir müssen gehen“, drängte der Fremde und
zog Linus zum zweiten Mal zu sich hinauf. Mortis’ Hand fiel in
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