Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mondschwingen (German Edition)

Mondschwingen (German Edition)

Titel: Mondschwingen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Sand
Vom Netzwerk:
knapp mit dem Leben
davongekommen. Er verdiente sogar von Svija Mitleid.
    „Er wurde von einem Pfeil getroffen“,
wisperte Linus. „Wir wollten heute noch fliehen, noch ein einziges Mal sind wir
zum Bernsteinfest gegangen. Ein Geheimnis wollte er lüften, hatte er gesagt.“
Er runzelte die Stirn und schaute zögerlich zurück. „Ein Geheimnis.“
    „Nicht gut, nicht gut.“ Toiva schüttelte
den Kopf und zog ihn weiter. „Wenn die Jäger nicht mehr da sind, suchen wir uns
eine ruhige Stelle und schlafen. Schlafen ist immer gut.“
    Leise wiegten die Bäume unter ihnen hin und
her, vereinzelte Schritte waren im sumpfigen Untergrund noch zu hören, Lichter
hüpften auf und ab, verzerrte Befehle ertönten und wurden fast verschluckt vom
fispelnden Wind in den Bäumen.
    „Woher wusstet ihr, dass ich gejagt werde?“
Es war der Junge, der die Stille brach. „Ihr kamt, als einer der Jäger das
Schwert gehoben hat. Ich dachte, dass es vorbei ist, endgültig.“
    „Spione haben es mir gesagt und da ich mir
und meinen Fähigkeiten am meisten vertraue, habe ich die Sache schließlich
selbst in die Hand genommen.“ Sie klatschte in die Hände und strahlte, als wäre
alles noch in Ordnung.
    Dann schritt sie weiter, der Dunkelheit entgegen,
Seite an Seite mit dem Mädchen und dem Jungen, der nicht gestorben war.

 
 
 
 
 
                                                          

 

 
    LINUS
    und die Neue Welt

 
    Linus war kalt. Die Tränen auf seinem
Gesicht waren eisig.
    Die Frau und das Mädchen schliefen bereits
und auch Linus war zu müde, um Wache zu halten.
    Die Decken, unter denen sie lagen, waren
nur dünn und ein Feuer hatten sie nicht machen dürfen, weil irgendwo in weiter
Ferne die Feinde lauern mochten. Aber Linus hätte ohnehin gefroren, weil die
Welt, wie er sie kannte, heute Nacht gestorben war.
    Mortis war weg, als hätte es ihn nie
gegeben. Wenn es nicht so gefährlich gewesen wäre, dann würde Linus
zurückzugehen, nur um ihn noch ein Mal zu sehen. Es war das Geheimnis gewesen,
das ihn das Leben gekostet hatte und er hatte nicht einmal mehr genügend Zeit
gehabt, um Linus davon zu erzählen.
    Ein bleiches Gesicht schob sich in sein
Blickfeld, zwei glitzernde Punkte blitzten in der Finsternis auf. Es war das
Mädchen, das zu ihm schaute.
    Svija sagte nichts, sie blickte ihn nur
weiterhin an und blies ihm kalten Atem ins Gesicht. „Du denkst an deinen Vater,
nicht wahr?“, sagte sie schließlich, ohne sich die Mühe zu machen, die Stimme
zu senken. Toiva schnarchte ohnehin so laut, dass nichts und niemand sie wecken
konnte.
    „Es ist so unwirklich“, sagte er und es fiel
ihm schwer zu sprechen.
    „Ich weiß, wie du dich fühlst. Und
irgendwie auch nicht.“ Das Gesicht verschwand und Linus spürte, wie sie sich
neben ihn in den Schnee legte.
    „Meine Eltern sind beide gestorben, das ist
so lange her, dass ich mich gar nicht mehr daran erinnern kann. Ich habe das
Gefühl, ich lebe schon von Anfang an im Sommerwald. Es ist ein schöner Ort,
weißt du? Es gibt einen Fluss dort und immergrüne Bäume und mitten drin ist
unser Waisenhaus. Wenn ich ehrlich bin, vermisse ich meine Eltern nur selten.“ Sie
hielt inne und für einen kurzen Augenblick lang verstummte selbst Toivas
Schnarchen. „Was ist mit deiner Mutter. Wo lebt sie?“
    „Sie ist tot. Sie auch.“ Das zu sagen war
so schmerzlich, dass es Linus beinahe überraschte. Marva war nicht mehr als
eine Schattengestalt in seinem Leben, er verband mit ihr keine Erinnerungen und
nur sehr wenig Gefühle. Er kannte es nur, einen Vater zu haben und das hatte
ihm schon immer ausgereicht. Jetzt war auch er fort.
    Bei jeder Träne, die Linus weinte, brannte
sich Mortis‘ Gesicht tiefer in sein Gedächtnis ein. Und gleichzeitig hatte er
Angst zu vergessen, wie er gewesen war und wie er ausgesehen hatte.
      „Dann
...“ Das Mädchen stockte und Linus bemerkte, wie sie ihn von der Seite her
ansah. „Dann sind wir wohl beide so etwas wie Waisenkinder.“
    Linus nickte. Ja, das waren sie wohl.
    Es war eine erste Gemeinsamkeit, die sie
miteinander verband und das fühlte sich gut. Linus war nicht länger allein,
obwohl es sich so anfühlte.
      „Wohin
gehen wir?“, fragte er und beinahe hätte er nach ihrer Hand gegriffen. „Ich
laufe einfach mit euch, denn ein Zuhause habe ich nicht mehr.“
    Svija schnaubte. „Dir bleibt auch nichts
anderes übrig. Du bist genauso wie ich

Weitere Kostenlose Bücher