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Mondschwingen (German Edition)

Mondschwingen (German Edition)

Titel: Mondschwingen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Sand
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andere Bewegung, eine andere Mimik, die
ihn wider Willen entblößte. Er schüttelte den Kopf, dabei wusste er doch
selbst, dass er Linus nichts vormachen konnte.
    „Sag es mir! Bitte sag es mir, wenn du es
weißt!“ Linus redete leise auf ihn ein, beinahe beschwörend, fasste ihn wieder
am Arm und rüttelte daran wie an einer Puppe. „Du hast vorhin gesagt, dass du
es mir verrätst, wenn du sicher bist, dass du das Geheimnis kennst!“
    Die Seekralster wurden langsamer, die
vorderste Bootsreihe hatte inzwischen das Ende des Kanals erreicht. „Ich ...
ich weiß nicht ...“, hauchte Mortis und sein Finger an der Nase erstarrte. „Es
muss nicht sein, ich kann mich täuschen.“
    „Sag es mir!“ Linus spürte, dass es nur
noch ein paar mehr Worte bedurfte, ehe Mortis das Geheimnis aussprechen würde.
    Doch da standen schon die ersten Menschen
auf, die Boote wippten und stießen rhythmisch gegen die Kanalwände.
    „Wir müssen raus“, sagte Mortis und
kletterte stolpernd über die tanzendenden Boote.
    Widerwillig raffte sich Linus auf und
folgte seinem Vater, wurde von hungrigen Festtagsgästen zur Seite geschubst,
die sich den kürzesten Weg zu den beladenen Tischen suchten. Die Haupttafel am
Ende des Saales bot für mehr als zweihundert Menschen Platz, und in der Mitte
thronte der leere Stuhl des Bernsteinkönigs.
      „Lass uns an einen Tisch ganz hinten gehen“,
schlug Mortis vor und lief los, ohne auf eine Antwort zu warten. Linus folgte
ihm murrend. Nun, da Mortis das Geheimnis gelüftet zu haben schien, wollte er
endlich wieder gehen, fort von all den fremden Blicken. Mit einem Mal schien
der Platz zwischen all den Rücken und drängenden Armen geschrumpft zu sein.
    „Wenn wir jetzt gehen“, flüsterte Mortis,
„fallen wir umso mehr auf, das kannst du mir glauben. Vorerst müssen wir uns
ruhig verhalten, etwas anderes bleibt uns nicht übrig.“
    „Verfluchtes Geheimnis“, zischte Linus,
obwohl er wusste, dass das nicht gerecht war.
    „ Ich wollte nicht, dass du
mitkommst.“ Mortis setzte sich an die hinterste Tafel und zog Linus zu sich
herunter. „Wir können nur hoffen, dass niemand dich erkennt. Und dass der
Frostkönig nicht die ganze Halle nach mir absucht, weil ich nicht wie üblich eine
meiner Geschichten erzähle.“
    Ein Mann hinter ihren Rücken sah sie kurz
an und wurde gleich darauf von der Menge verschluckt.
    „Hoffentlich hat er uns nicht gehört“,
brummte Mortis und schnappte sich eine Pastete.
    Bisher war ihr Tisch noch beinahe
menschenleer, die meisten suchten nach Plätzen an der Haupttafel, wo die
Spielmänner und Narren auftraten.
    Der Mann von vorhin wurde erneut von der
Menge ausgespien, er kam ganz unerwartet, fast schon aus dem Nichts. Seine Hand
legte sich auf Linus’ Schulter, Fingernagel um Fingernagel bohrte sich
schmerzhaft in sein Fleisch.
    „Ich schätze, ich habe Euch doch gehört,
großer Geschichtenerzähler. Ihr müsst wissen, dass sich am heutigen Abend
dutzende Sternenjäger in der Bernsteinhalle befinden. Ich“, meinte er „bin
einer von ihnen.“
    Linus überlegte nicht lang. Er sprang auf,
wirbelte herum und rannte los. Er wusste nicht, wie er durch all den Trubel
flüchten sollte, wusste nicht einmal genau wohin, er wusste nur, dass er
einfach rennen musste. Mortis war an seiner Seite, zog ihn nach links und
zischte: „Nach links, wir müssen nach links.“
    Eine Schar Hofdamen wich zurück, eine von
ihnen schrie und auf einen Schlag waren sämtliche Blicke auf die zwei Flüchtenden
gerichtet.
    „Was soll das? Glaubt ihr wirklich, dass
ihr uns entkommen könnt?“ Linus erkannte die Stimme sofort, sie hatte sich
letzte Nacht in sein Gehirn gebrannt.
    Kastja schritt ein paar Stufen von der
Haupttafel hinunter, er hielt einen Dolch in der Hand, ließ ihn von Finger zu
Finger tanzen. Er sah sich um, sein Gesicht verzog sich zu einer spöttischen
Grimasse. „Dass ich die Feierlaune unterbreche, tut mir schrecklich leid, aber
im Moment, ja im Moment lässt sich das wohl nicht vermeiden.“ In all der Zeit,
in der er zu dem Meer aus Gesichtern sprach, zwängten sich Linus und Mortis
weiter. Die ersten Hände schnappten nach ihnen, Stimmen befahlen, man solle sie
aufhalten.
    „Lasst sie, lasst sie! Wenn sie fliehen
wollen, dann sollen sie fliehen!“ Kastjas Stimme übertönte alle anderen. Prompt
traten einige Menschen zurück und ließen die Mondschwingen weiterlaufen.
    Als sie das größte Gewühl verlassen hatten,
verstand Linus, warum Kastja so

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