MondSilberLicht
einem flachen Tischchen standen der dampfende Tee und kleine Kekse.
Ich zog meine Jacke aus und ließ sie mit meiner Tasche auf den Boden fallen, der von einem dicken Teppich bedeckt war. Dann rührte ich Zucker und Milch in meine Tasse. Mittlerweile hatte ich mich so an die Teetrinkerei gewöhnt, dass ich meinen heiß geliebten Latte Macchiato von Starbucks nicht mehr vermisste.
„Und“, begann Sophie, „wie geht es dir?“
„Ich vermisse meine Mutter sehr und manchmal auch die Großstadt“, begann ich stockend.
Sie nickte verständnisvoll.
„Als ich herkam, war alles fremd und furchtbar provinziell“, sagte sie. „Ich habe dir noch nicht erzählt, dass wir uns in Paris kennen gelernt und uns sofort ineinander verliebt haben.“
Ich sah, wie ein wehmütiger Ausdruck über ihr Gesicht flog.
„Ich war immer ziemlich impulsiv.“
Das glaubte ich auf Anhieb.
„Ich bin mit ihm gegangen, als er die Nachricht bekam, dass sein Vater im Sterben liegt. Meine Eltern haben getobt, doch sie konnten nichts ausrichten.“
Wie sie vor mir saß, in einen hellgrünen Kaftan gehüllt, mit den unvermeidlich klimpernden Armringen, konnte ich sie mir gut vorstellen, wie sie im Paris der sechziger Jahre dem Charme eines jungen schottischen Abenteurers erlegen war, und er dem ihren.
„Als wir hier ankamen, war es für mich ein Schock. Keine Theater, keine Bälle, keine Bibliotheken. Aber ich war verliebt. Und mit den Jahren habe ich mich eingelebt. Wir fuhren oft nach Edinburgh. Mein Mann hatte das Bedürfnis, mir zu zeigen, dass es hier auch anderes gab als Weiden, Schafe und die Berge. Obwohl ich bald fünfzig Jahre hier lebe, bin ich für viele immer noch eine Exotin. Aber jetzt ist die Insel mein Zuhause.“
Sie sah mich an: „Ich wünsche mir, dass sie es auch für dich wird.“
„Du weißt, dass ich froh bin, dass Ethan und Bree mich zu sich genommen haben“, erwiderte ich. „Ich wusste nicht, wie es ist, in einer großen Familie zu leben, und ich hatte Angst davor.“
„Und wie findest du es jetzt?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Chaotisch, laut und wider Erwarten schön.“
Ich schwieg und spürte Sophies verständnisvolle Blicke auf mir ruhen.
„Jetzt hoffe ich inständig, dass es richtig warm wird. Das ewig schlechte Wetter ist deprimierend.“
„Ja“, sagte sie, „da hilft nur eins: lesen, lesen, lesen.“
Sie sprang auf und die trübe Stimmung, die sich breitgemacht hatte, verflog.
„Du brauchst etwas fürs Herz.“
Ich nickte, nicht sicher, was sie damit meinte.
„Nicht den Kitsch, den die vielen Touristinnen lesen, die im Sommer kommen.“
Ihre Hände flatterten durch die Luft. Ich hielt den Mund und folgte ihr durch die Reihen. Liebevoll strich sie über die vielen Buchrücken und ich fragte mich, was sie suchte.
Sie zog ein Buch heraus und hielt es mir hin. Anna Karenina las ich, von Lev Tolstoi, davon hatte ich noch nie gehört. Ich vertiefte mich in den Klappentext. Es klang anspruchsvoll.
„Ich sage dir gleich“, hörte ich da Sophie, die weitergegangen war, „du wirst weinen. Es ist ein wunderschönes und furchtbar trauriges Buch.“
Sie war vor dem Shakespeare-Regal stehen geblieben. „Romeo und Julia kennst du“, sagte sie zu sich selbst. „Versuch mal Othello, dann hast du erst einmal genug. Du musst mir beim nächsten Mal erzählen, wie die Bücher dir gefallen haben.“
Ich lächelte. Als ob ich das nicht immer tat.
Ich suchte meine Sachen zusammen und bedankte mich. Draußen dämmerte es.
„Du musst dich nicht bedanken, mein Kind, ich freue mich, wenn du kommst.“ Sie gab mir einen Kuss auf die Wange und ich drehte mich zur Tür, die in diesem Moment von außen geöffnet wurde. Prompt taumelte ich gegen die Person, die den Laden betrat. Es war Calum. Er schüttelte den Kopf über so viel Ungeschicklichkeit und ließ los, als er mich erkannte.
Der kurze Moment hatte ausgereicht; die Stellen an meinen Armen, an denen er mich berührt hatte, brannten wie Feuer.
„Calum“, rief da Sophie, „schade, dass du nicht früher gekommen bist. Emma hat mich zum Tee besucht.“
Ohne mich umzudrehen, verließ ich fluchtartig den Laden. Ich lief die Hauptstraße entlang nach Hause. Das Türglöckchen klingelte ewig in meinen Ohren.
Endlich rang sich die Sonne durch, es richtig Frühling werden zu lassen.
„Wir fahren nächstes Wochenende gemeinsam zum Schwimmen nach Loch Fada. Du kommst mit, Emma“, bestimmte Amelie und überrumpelte mich mit einer ihrer spontanen Ideen.
„Äh, ich weiß
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