Mondsplitter
»Sehen Sie eine Möglichkeit, irgendwas zu retten?«
Sie zuckte die Achseln. »Sieht nicht gut aus.«
Sie hatten Kaffee und Toast. Etwa die Hälfte der Tische in der Hauptzone des Restaurants waren besetzt. Menschen spazierten gelassen über die Wege, und jemand fuhr mit einem Hängegleiter von der Kuppelspitze herunter.
»Wie steht es mit der Evakuierung?« fragte Charlie. »Irgendwelche Probleme?«
»Ich denke, nein. Die Mondverkehrsbehörde hat angekündigt, sie würde kooperieren und die Raumfähren unverzüglich herüberschicken. Es wird knapp; einige von uns, die am Samstag den letzten Flug nehmen, werden einen verdammt guten Blick auf das Feuerwerk haben. Aber wenigstens kommen alle hinaus. Falls keine Störungen auftreten.« Sie biß in ihr Toastbrot. »Wir sind bislang davon ausgegangen, daß eine Notsituation am ehesten durch eine Hochphase bei den Sonneneruptionen eintreten würde. Etwas in der Art. Daß wir nicht mehr zu tun bräuchten, als die Leute in Deckung zu bringen. Ich denke nicht, daß jemals jemand den Gedanken hatte, wir müßten mal den gesamten Komplex evakuieren. Wir sprechen schließlich vom Mond, um Gottes willen!« Es fiel ihr schwer, die Stimme unter Kontrolle zu halten. »Den ersten Schwung Personen haben wir bereits nach L1 gebracht.«
Ihnen gegenüber gurgelte ein virtueller Gebirgsbach durch einen Tank. Felsen ragten aus dem Wasser auf, und eine eingestürzte Kuppel stand am Ufer, halb im Fluß untergetaucht.
Evelyn betrachtete das Bild und erlebte mit, wie es sich veränderte und an seiner Stelle eine Schlagzeile der USA Today auftauchte:
KOSMISCHE KUGEL SCHLÄGT IM MOND EIN
Die Erde wird knapp verfehlt, aber andere Dinge kommen näher.
Ein Bild des Kometen trat an die Stelle der Schlagzeile. Alle Kometenköpfe – zumindest auf den Bildern, die Evelyn kannte – sahen gleich aus: Unter einem goldenen Halo war ein dunkler, rissiger Brocken aus Eis und Erde zu sehen, unregelmäßig geformt, manchmal mit Kratern bedeckt. Die Dinger waren einzigartig uninteressant, und Evelyn hatte noch nie verstanden, warum sich irgend jemand dafür interessierte. Dieser hier bildete keine Ausnahme. Er wies ein paar Krater auf sowie einige lange, parallele Spalten, als wäre jemand mit einem Kratzeisen darübergefahren. »Sieht ganz normal aus«, meinte sie.
Charlie schüttelte den Kopf. »Er ist größer als New Jersey. Wir wollen bestimmt nicht mehr hier sein, wenn er auftaucht.«
Evelyn hatte ein Gefühl der totalen Niederlage. Hätte der Komet ihr ein paar Jahre Zeit gelassen, damit die Mondbasis ihren Wert beweisen und Gewinne einbringen konnte, dann hätte das Unternehmen womöglich sogar eine solche Katastrophe überstanden. Aber nicht jetzt. Es war der entscheidende Augenblick, und sie konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß hinter dem Auftauchen des Kometen Absicht steckte, als wollte das Universum ihr eins auswischen. »Wissen Sie noch was?« fragte sie. »Nach dem Vorfall ist auch L1 keinen Pfifferling mehr wert.«
»Warum nicht?«
Sie sah ihn überrascht an. »Weil die gegenseitige Anziehungskraft von Erde und Mond die Station hält. Wenn der Mond über den Jordan geht, kann man dort keinen Satelliten mehr unterhalten. Dann gibt es einfach keinen Lagrange-Punkt mehr.«
»Oh.«
»Wir sind dann auf niedrige Umlaufbahnen beschränkt und haben kein bequemes, naheliegendes Ziel am Himmel mehr. Charlie, uns stand die Tür offen, solange die Technik, das Geld und der Wille vorhanden waren. Für kurze Zeit. Aber ich denke, die Tür schließt sich jetzt.«
2.
Mondbasis, Grissom Country, 10 Uhr 55
Die Nachrichtensendungen gingen nun dazu über, Simulationen durchzuführen und Vergleiche anzustellen. Der Kometenkopf enthielt genug Gestein und Eis, um den Grand Canyon hundertfünfzigmal zu füllen. Oder eine sechzehn Meter hohe Abdeckung rund um die ganze Erde zu errichten.
Und so wird es am Samstagabend aussehen. Die Zuschauer bekamen eine animierte Graphik gezeigt, wie der Komet die Umlaufbahn der Venus kreuzte, Kurs auf den Mond nahm und schließlich mit diesem verschmolz. Eine kleine Wolke tauchte an der Einschlagstelle auf.
Die Leute packten ihre Sachen. Man konnte die Atmosphäre als eine der ruhigen Dringlichkeit bezeichnen. Jack Chandlers Mitarbeiter erstellten einen Startplan für die Raumfahrzeuge, und man hängte Kopien davon überall aus. Die Besucher sollten als erste abreisen, gefolgt von denen, die man für nicht unbedingt nötig hielt:
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