Mondtaenzerin
hatte man auch hier nach dem Zweiten Weltkrieg ausgiebig geballert, als die britische Royal Air Force die Pfefferinsel als Zielübungsgebiet für Bombenabwürfe nutzte. Die Einwohner der Küstendörfer wissen zu erzählen, dass Filfla, früher doppelt so hoch, durch die Bomben nahezu zerstückelt wurde. Das Verbot, die Insel zu betreten, kam auch von dem Verdacht, dass womöglich noch zahlreiche Blindgänger auf und rund der Insel lagen. Und natürlich machte das Verbot die Sache umso verlockender. Man durfte sich nur
nicht von der Seepolizei erwischen lassen, die ohnehin selten zur Stelle war.
Die Sonne schien an diesem Tag leicht verschleiert, der Wind schmeckte würzig nach Afrika. Den Himmel muss man im Liegen betrachten, die Horizonte versinken, man spürt, wie die Erde kreist. Dieses Kreisen mit dem Wind, das mächtige Pulsieren der Wellen, erfüllte uns mit Harmonie und Ruhe. An diesem Ort, in diesem Augenblick, begann ich, die Erde zu lieben, zu lieben wie einen lebendigen Körper. Das Unfassbare sprach zu mir, wie es zu Persea, hundert Generationen zuvor, gesprochen hatte. Denn was war das Leben, wenn nicht ein Weitergehen in der Geschichte? Wir hatten – seit zweitausend Jahren – einen falschen Zugang zu uns selbst, zu unserer Umwelt. Aber die Zauberkraft war intakt, ihre Geheimnisse flogen uns zu. Das, was man uns beigebracht hatte, stimmte nicht: Der Mensch war keineswegs die Krone der Schöpfung. Der Mensch war ein zerstörerisches kleines Insekt, ein Aasfresser. Ich sprach meine Gedanken laut aus, und Peter war ein wenig verwundert.
»Na, hör mal, so schlimm kann es doch wohl nicht sein.«
»Doch. Der Beton überall, die Schadstoffe in der Luft, das schmierbraune Wasser, die Schrottplätze, die Mülldeponien. Gab es die, als wir Kind waren? Ich entsinne mich nicht mehr!«
»Natürlich gab es die«, sagte Peter. »Wir haben sie nur nicht wahrgenommen.«
»Wir haben uns überhaupt keine Gedanken gemacht. Jetzt wird es dringend Zeit, etwas zu tun, sonst leben wir bald auf einer Müllhalde.«
Er lachte. Es freute mich, dass ich ihn zum Lachen brachte. Er lachte selten, und das war schade.
»Da ist was dran«, gab er zu.
»Ich will nicht mehr stumpfsinnig zulassen, dass Leute scheinheilig den Fortschritt rühmen. Versteh doch, sie verwechseln
Fortschritt mit Profit. Gefällt dir St. Julian, diese Betonschlucht, wo früher der Strand war?«
»Nein.«
»Dir auch nicht? Aber viele Leute sind dabei zu Geld gekommen. Und warum wurde Filfla zerbombt? Doch nur, um Munition zu verballern und die Rüstungsindustrie zu stützen. Kannst du da gleichgültig sein? Ich nicht. Mein Vater hört es nicht gerne, wenn ich kritisiere. Er hat seine Politik im Rücken, natürlich. Mutter sagt in solchen Momenten nichts. Sie spielt die Unbeteiligte, das macht mich wütend. Aber Wut ist keine Verteidigung.«
»Und was ist, deiner Meinung nach, Verteidigung?«
»Nicht mehr still sein und aushalten. Keine duseligen Gefühle mehr zulassen, nur durchdachte Vorstellungen. Ich habe es dir noch nicht gesagt, aber ich will Naturschutzbiologie studieren.«
»Nie davon gehört.«
»Kein Wunder. Wir sind hier in manchen Dingen noch hinter dem Mond. Aber in London gibt es seit kurzem das Institut für Conservation Biology. Das Forschungsgebiet ist neu, aber immerhin existiert es. Ich habe den Eltern gesagt, dass ich mich einschreiben will. Komischerweise haben sie nichts dagegen.«
Wir lagen im Gras, das trocken und warm war, sprachen entspannt zueinander.
»Wie bist du darauf gekommen?«, fragte Peter.
»Weil ich die Zusammenhänge sehen will, die genetischen Wechselwirkungen zwischen Pflanzen, Tieren und Menschen. Dazu kommen Elemente aus Geschichte, Philosophie, Anthropologe und Politik. Auf der ganzen Welt ist das so. Hast du nie darüber nachgedacht?«
Peter war nicht sehr schlagfertig. Und weil er nichts Banales sagen wollte, brummte er lediglich: »Interessant!«
»Du bist der Erste, der mir nicht sagt, du spinnst!«
»Wie lange trägst du diesen Gedanken schon mit dir herum?«
»Ach, eigentlich schon lange. Ich dachte nur, mir schwebt etwas vor, das es nicht gibt. Aber dann ging ich ins Internet und fand genau, was ich suchte.«
Wir tranken einen Schluck von der mitgebrachten Limonade. Er sagte: »Viele Leute werden das nicht verstehen.«
»Man muss es ihnen eben beibringen.«
»Das kann schwierig werden.«
Wirklich schwierig war nur Peter, der alles zu ernst nahm. Aber eigentlich war er mir lieber als die
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