Mondtaenzerin
anderen, weil er sich aufregte, genau wie ich mich selbst aufregte. Und weil er was dagegen tun wollte.
»Vielleicht sogar unmöglich«, setzte er hinzu, und wir lachten. Ich sagte: »Aber du tust ja schon was!«
»Weil ich Tierarzt werden will? Mein Vater weiß noch nichts davon. Ich werde zunächst Medizin studieren. Ein Jahr lang. Danach muss ich mich entscheiden. Und dann wird er keine Luftsprünge machen. Im Augenblick ist er ruhig.«
»Lass ihm seine Ruhe«, sagte ich. »Ist ja bald vorbei.«
Wir lachten wieder, leise und etwas boshaft, bevor Schweigen zwischen uns eintrat. Der Ort war beladen mit jener Magie, die wir nie beim Namen nannten, die aber in unserem Hinterkopf stets gegenwärtig war. Die Erinnerung schlief nie, sie war die erste Stufe der dunklen Treppe, die zu den Träumen führt. War die Welt, die große und weite, nicht durchzogen von Träumen? Ich streckte mich neben Peter aus, schmiegte mich enger an ihn. Er antwortete mit leichtem Druck. Doch ich sah ihn nicht an, sondern starrte an ihm vorbei, in die helle Luft, bevor ich leise einen Namen aussprach.
»Giovanni.«
Er versteifte sich ein wenig, zog leicht die Schulter zurück, doch nur um eine Fingerbreite, bestimmt nicht mehr.
»Ach ja, Giovanni«, seufzte er.
Es trieb mich, mit Peter über Giovanni zu reden, obwohl mir klar war, dass er dabei kaum auf mich achtete und nur an sich dachte. Aber das war mir egal.
»Ob er sich wohl verändert hat?«
Ach, Alessa, dachte ich gleichzeitig, wie naiv du doch bist! Gewiss war Giovanni nicht mehr der Junge, den wir gekannt hatten. Wie alt war er jetzt? Siebzehn? Der Gedanke, dass es ihn irgendwo auf dieser Welt noch gab, machte weder Peter noch mich glücklich. Und zu glauben, dass er der Gleiche war, war nur in sinnloser Leichtfertigkeit möglich.
Peter sprach vorsichtig aus, was ihn beschäftigte. Und es gab mir einen Schock, weil ich – ohne es wahrhaben zu wollen – das Gleiche dachte.
»Wenn er sich stark verändert hat, glaubst du, dass es gut wäre, ihn wiederzusehen? Würdest du nicht lieber die Erinnerung an ihn bewahren, wie er früher war? Was meinst du?«
Ich empfand ein dumpfes Furchtgefühl, eine Angst, die sich auf der Stelle in Trotz verwandelte.
»Wieso zerbrechen wir uns überhaupt den Kopf über ihn?«, fragte ich bissig. »Er wird ohnehin nie zurückkommen.«
Einen Augenblick lang war es, als ob er etwas sagen wollte. Aber das ging vorüber, er presste sein Gesicht an meines, und so blieben wir lange liegen. Plötzlich brach er das Schweigen, wie ein Mensch, der sich auf etwas besinnt.
»Noch etwas.«
»Ja?«
Er sah ein wenig betreten aus.
»Ich glaube, dass ich dich liebe.«
Er hatte leise gesprochen. Ich wandte feige das Gesicht von ihm weg. Er sollte nicht sehen, wie aufgewühlt ich war.
»Seit wann?«
»Ich kann es nicht sagen.«
»Nein, du irrst dich.«
»Sei still.«
Ich konnte ihn nicht wegstoßen, im Gegenteil: Aus der Tiefe der Vergangenheit überkam mich ein überwältigendes Vertrauen, eine unverbrauchte Zärtlichkeit. Ich hatte entdeckt, dass er mich immer verstand, auch wenn ich es aussprach. Bei Peter brauchte ich nicht nach Worten zu suchen, ihren Doppelsinn zu fürchten. Denn um den Schmerz der Vergangenheit wussten wir beide, hatten wir ihn doch gemeinsam erfahren. Ich ließ meine Fingerspitzen über Peters Stirn, über seine Wangen und Lippen gleiten. Dann zog ich mit zitternden Händen seinen schmalen, harten Kopf an meine Brust. Er nahm seine Brille ab und küsste mich, und ich küsste ihn zurück. Eine Wolke zog über das Meer, verdunkelte die Sonne, die dahinter glühte, wie ein weißes, fernes Feuer. Und ich sah, wie diese Wolke auch Peters Augen verdunkelte, sich über sein ganzes Gesicht ausbreitete. Ich erkannte zum ersten Mal, wie schön Peters Gesicht war, ebenmäßig, fein geschnitten. Ich zog ihm das T-Shirt über den Kopf, legte meine gespreizten Finger auf seine nackte Brust. Seine Schultern waren breit und rund, er hatte feste Muskeln, war er doch ein guter Schwimmer und spielte noch immer regelmäßig Tennis. Unsere Hände wetteiferten in dringender Eile, um uns vollständig zu entkleiden. Es ging schnell, wir hatten ja nicht viel an. Er war nicht so erfahren wie ich, seine Gesten waren zögernd, etwas ungeschickt. Wir umarmten einander, atmeten einige Augenblicke lang den Geruch unserer Haut ein. Alles sahen wir vor uns, unsere Kindheit, unsere wilden Spiele am Strand. Aber unsere vertrauten Körper hatten sich auf
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