Mondtaenzerin
eigentlich nicht gut, dass du mit mir zu tun hast. Es könnte schlecht für deine Arbeit sein. Ich werde dich wieder verlassen müssen, Alessa, damit du es im Voraus weißt. Und ich will dein Leben nicht durcheinanderbringen.«
Seltsam, was er erzählte. Und seltsam auch, wie er es erzählte. Mir fiel auf, dass er nicht das Geringste erklärte. Meinte er, ich würde schon wissen, worüber er sprach? Die hinter ihm liegenden Jahre waren, so glaubte ich, zu ereignisreich, als dass er näher darauf eingehen wollte. Es spielte auch keine Rolle. Erklärungen irgendwelcher Art hatten nichts mit unserer Geschichte zu tun. Der Mann, den ich vor mir hatte, war der Giovanni von einst, und gleichsam der Fremde, der er in vielen tausend dahingelebten Tagen geworden war. Diese Wandlung, die ich plötzlich empfand, flößte mir seltsame Empfindungen ein. Ich fühlte in mir eine brennende Sehnsucht aufkommen, einen heißen Wunsch, den Jungen von früher wieder zu erleben, und gleichzeitig den heutigen Mann, damit ich ihm nahe sein könnte. Denn eines wusste ich so sicher wie nichts anderes: dass er nie aufgehört hatte, mich zu lieben, mit unveränderter Kraft.
Inzwischen beobachtete ich ihn ruhig und gründlich. Auf den ersten Blick schien er unversehrt – doch nur auf den ersten Blick. Er trug verschiedene Narben am Körper, die alle gut verheilt waren. Beim näheren Hinsehen entdeckte ich auch eine ziemlich tiefe Kerbe am linken Wangenknochen, die früher nicht da gewesen war. Ich strich mit dem Finger darüber, spürte einen Knoten unter der Haut und sah ihn fragend an. Er nickte gleichmütig.
»Gebrochen.«
Was hatte er inzwischen erlebt? Aus welchen Abenteuern
war er wohl wieder aufgetaucht? Welchem Rausch an Irrwegen, Gefahren, Entbehrungen, Hunger, Schicksalsschlägen war er entronnen? Glaubte er noch an Gott, wie früher? Gewiss nicht. Sein Gott hatte nicht das Kind beschützt, das einst in Seinem Haus schlief. Giovanni hatte Elend und Hunger gekannt, Verbrechen, Gewalt und Einsamkeit. Was gab es anderes? Freundschaft, vielleicht? Mitgefühl und Güte? Es mochte ja sein, obwohl er davon nicht sprach. Und die Liebe? Ja, die Liebe war gewiss noch vorhanden. Alles andere zählte zu Verlust und Gewinn. Giovanni und ich wussten das ohne viele Worte. Es gab nichts zu erklären, nichts zu begreifen. Es war einfach so. Ich nahm und leerte mein Glas, obgleich ich den Wein nicht gewohnt war, und sagte leise:
»Ich habe immer gehofft, dass ich dich wiedersehe.«
Er antwortete ebenso leise.
»Ich liebe dich seit tausend Jahren.«
»Ich konnte gar nicht anders, als auf dich zu warten.«
»Ich weiß. Seit tausend Jahren.«
»Tausend Jahre sind wie ein Tag …«
Wir sahen uns an, der gleiche Schwindel ergriff uns. Es war, als ob wir beide schwankten. Für uns, zwischen uns, hatte sich nichts verändert. Und so würde es bleiben, bis zum letzten Atemzug, bis das Schicksal uns auseinanderriss. Und dieser Gedanke war so grauenvoll, dass ich ihn gar nicht erst aufkommen ließ. Er zog mich fest an sich. Ich sah, wie sich sein Blick aus dem meinen löste, hinabglitt, sich auf meinen Mund richtete. Er sagte rau:
»Du bist noch schöner, als ich dich in Erinnerung hatte.«
Das Verlangen ergriff uns im gleichen Augenblick. Er hielt mir beide Hände entgegen, ich packte diese Hände wie eine Ertrinkende, krallte mich daran fest. Er hob mich hoch, trug mich durchs Zimmer, legte mich auf mein Bett. Jetzt schaffte er das mühelos. Früher, als Heranwachsende, war ich so groß wie er gewesen. Jetzt war er einen ganzen Kopf größer als ich,
breit in den Schultern, schmal in der Taille. Wir sahen uns unverwandt an, als er mich mit lähmender Kraft in seine Arme schloss. Unsere Begierde hüllte uns ein und überströmte uns, wie die Flut über mitternächtliche Meerestiefen strömt. Das Verlangen flackerte durch jeden Muskel, jeder Kuss brannte auf unseren Lippen, bevor wir die Augen schlossen und die warmen Gewässer über uns zusammenschlugen, uns einhüllten und forttrugen in einem verzehrenden und immer wieder neue Lust gebärenden Wirbel. Giovannis starke Arme hielten mich, und in bejahender Verzückung hielt ich meine eigenen Hände nicht zurück, die in helfender und dringender Eile mein T-Shirt über den Kopf zogen, meinen Büstenhalter aufhakten, an einem Reißverschluss rissen. Ich ließ die Hose auf den Boden fallen, entledigte mich meines Slips, während ich seine Jeans aufknöpfte und ihm die paar Sachen, die er trug, vom
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