Mondtaenzerin
Leibe zerrte. Im Rot des Sonnenuntergangs sah ich seinen tätowierten Körper, wie ein Faun kam er mir vor, ein Wesen mit einer glatten Haut, golden darunter, und bedeckt von Mustern, kupfern und lila und schillernd wie Libellenflügel und manchmal glänzend wie Stahl. Ich war wie behext von dem Anblick, der Berührung, der Beschaffenheit dieses Körpers, so stark, so frei, so gelenkig. In ihm hatte sich ein Geheimnis bewahrt, ein Geheimnis aus dem Dunkel der Vergangenheit. Ob er davon wusste? Wahrscheinlich nicht; aber sein Instinkt wusste darum. Giovannis Hand glitt zwischen meine offenen Schenkel, ich spürte seine Finger in mir, die in meinem Unterleib ein träges, schwelendes Rieseln entfachten. Ich hörte den eigenen Atem beim Luftholen, verlor mich in stummer Trunkenheit in seinen Liebkosungen. Ich fühlte, wie meine Hüften sich aufbäumten, sich zu ihm emporhoben, es war, als ob mein Körper schon fort war, sich von mir trennte, ich öffnete mich, suchte ihn, aufgelöst und hochgetragen, schwebend durch die Kraft des Erinnerns. Als er in mich eindrang, hörte ich mich leise aufschreien – ein Aufschrei des Entzückens –, doch im gleichen
Atemzug umschloss er mit den Lippen meinen Mund, hielt mich fest, saugte mich auf. Er bewegte sich in mir, er gehörte mir, er war mein Besitz, ich hielt ihn mit meinen Muskeln fest, zog ihn noch tiefer, noch endgültiger in mich hinein. Ich sah in seinem dunklen Gesicht das Weiß seiner Augen leuchten, die Kreiswellen meiner Lust stiegen bei jedem seiner langsamen, festen Stöße. Das Innere meines Körpers wurde zu Wasser, leuchtend von der Sonne durchbrochen, ein langsam kreisender Strudel. Er presste sich auf mich, sein Atem ging keuchend, und immer wieder erstickte sein Mund mein Stöhnen. Mit tastenden Händen strich ich über seine Schultern, den Rücken und die Hüften entlang, ich versank tiefer und tiefer, spürte ein Rauschen in meinen Ohren, dem Rauschen der Wellen ähnlich, die durch mich brandeten, mich emporhoben und davontrugen, in ferne, unerforschte Räume. Giovanni bebte in mir, ich hörte das heftige Pochen seines Herzens, während ein tiefes Erschauen sich durch seinen Körper zog. Dann lagen wir still, ruhten uns zitternd aus. Giovanni lag dicht neben mir, ein Schenkel noch auf meinem Bauch, die Augen geschlossen. Er hielt den Kopf auf meinem Arm. Sogar als mich der Arm leicht zu schmerzen begann, bewegte ich mich nicht, bis auch er sich bewegte, leicht von mir wegrollte und den Kopf etwas hob, sodass ich ihn ansehen konnte. Behutsam strich ich mit dem Daumen über seine Braue, den weißen Flaum entlang. Er war, wie mir schien, breiter geworden.
»Schwalbenflügel«, flüsterte ich.
Wir deuteten beide gleichzeitig ein Lächeln an. Er antwortete ebenso leise.
»Keiner kennt diesen Namen. Nur du.«
»Ich habe so lange gewartet«, sagte ich, »dass ich ihn fast vergessen habe.«
Er lehnte den Kopf an seine Schulter.
»Ich weiß nicht, was schlimmer ist, zu vergessen oder sich zu erinnern. Man kann dabei nur leiden.«
»Es schien mir so sinnlos, dich nicht mehr bei mir zu haben. Du warst immer ein Beispiel für mich.«
»Ein nicht zu befolgendes Beispiel«, meinte er. Jetzt lachten wir beide, aber nur leise, Mund an Mund. Einen Moment lang waren die Dinge auf magische Weise wieder in ihren früheren Zustand verwandelt. Ohne mich zu rühren, betrachtete ich seinen langen, geschmeidigen Körper, seine starken Muskeln, seine dunklen Augen. Sie schienen schlicht und offen zu mir zu sprechen, doch dahinter waren andere Dinge, die ich nicht kannte. Meine Blicke auf sein Gesicht zeigten mir, dass seine Wangen eingefallen waren, die Stirn von Falten durchzogen, der Mund hart, der Ausdruck verdrossen. Unversehens wurde mir dabei bewusst, dass auch er mich ansah. Unsere Gesichter waren einander vertraut, aber es waren nicht mehr die weichen, arglosen Gesichter von einst. Unsere Kindheit war dahin und für immer. Sah auch er auf meinem Gesicht die Spuren der Veränderung? Unser neues Gesicht, das kannten wir noch nicht. Wir betrachteten es lange, mit einer Art Verwunderung. Und ich dachte an Viviane und Peter, entsann mich an sie in ihrer früheren, kindlichen Gestalt. Auch sie hatten heute ein neues Gesicht. Sinnlos für uns, diese Gesichter verstehen zu wollen. Und ebenso sinnlos, darüber zu weinen. Es mochte sein, dass er ahnte, was in mir vorging, denn nach einer Weile brach er das Schweigen, indem er ihre zwei Namen nannte.
»Viviane?
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