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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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Krankenwagen geschoben. Ich war todmüde, und alles, nicht nur die Hand, tat mir weh, doch ich brachte es nicht übers Herz, Viviane zu verlassen. Ich fragte den Arzt:
    »Kann ich sie ins Krankenhaus begleiten?«
    »Sind Sie eine Angehörige?«, fragte er.
    »Nein, sie hat keine mehr«, sagte ich. Und setzte gleich hinzu:
    »Aber wir kennen uns seit unserer Kindheit.«
    Dr. Santi nickte.
    »Ja, kommen Sie mit. Jemand muss ja die Formulare ausfüllen.«
    Viviane trug ihre Papiere in einer kleinen roten Tasche, die zu Boden gefallen war. Peter hatte sie an sich genommen. Er gab mir die Tasche und sagte, er würde zu seiner Schwester gehen. Er konnte sich vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten. Auch die Musiker waren erschöpft und entkräftet. Ich sagte, sie sollten schlafen gehen, ich würde sie benachrichtigen, sobald Viviane wieder ansprechbar war. Dann stieg ich zu ihr in den Krankenwagen. Die Spritze hatte den Krampf gelöst. Sie lag ganz ruhig, doch bei ihrem Anblick zog sich mein Innerstes zusammen. Ich musste ein entsetztes Gesicht gemacht haben, denn Dr. Santi sagte mit beruhigender Stimme:
    »Epilepsie versetzt einem immer einen Schock. Manche haben eben die Veranlagung dazu.«
    »Schlimm?«, fragte ich leise.
    »Eigentlich nicht. Es sieht schrecklicher aus, als es ist. Aber wenn es im unpassenden Moment geschieht, könnte sie sich verletzen oder andere Menschen gefährden.«
    »Kann man Epilepsie heilen?«
    »Es gibt Medikamente. Aber jeder Patient ist verschieden.«
    »Viviane hat gesagt, dass sie Medikamente nimmt.«
    »Dann muss ich herausfinden, welche das sind. Andere könnten ihr schaden.« Dr. Santi zögerte.

    »Epileptiker sind oft besondere Menschen.«
    Ich sagte leise:
    »Viviane ist ein sehr besonderer Mensch.«
    Die beunruhigende Geschichte, die ich von den Musikern gehört hatte, ging mir nicht aus dem Sinn. Wer Viviane so gut kannte wie ich, wusste, dass sie die Welt anders wahrnahm als wir. In ihr wurzelten eine natürliche Güte und Großmut, die sie empfänglich für ihre Mitmenschen machten. Eine fast übersteigerte Empathie. Aber auch ein Hochmut, eine Art von Gewalt, die gelegentlich aus ihr herausbrach. Da waren unbekannte Dinge, die im Zentrum ihres Bewusstseins wohnten, die sie Bilder sehen ließen, die wir nicht sahen und sie zu den seltsamsten Handlungen trieben. Ich war überzeugt davon, dass ihr Anfall hier etwas zu bedeuten hatte.
    Im Krankenhaus zeigte ich Vivianes Ausweis vor und füllte die notwendigen Papiere aus. Sie hatte eine gute Versicherung. Als ich ihre Tasche durchsuchte, fand ich auch einige Medikamente. Ich überließ sie der Schwester, die Viviane betreute. Sie würde sie Dr. Santi geben. Es herrschte eine seltsame Stimmung im Krankenhaus. Der Tag brach an, und die erste Morgensonne schien blass durch die großen Glasfenster. Ich entsann mich, dass ich vor vielen Jahren hier Giovanni besucht hatte, nachdem ich ihm das Leben gerettet hatte. Ich fand die langen Flure wieder, die leisen Schritte, die Türen, hinter denen die Kranken jetzt auf das Frühstück warteten. Im Geiste wanderte ich zurück zu dem zwölfjährigen Giovanni, während ich in das kleine Zimmer trat, in dem Viviane still und blass lag. Eine Infusionsnadel steckte in ihrem Arm. Man hatte ihr die Kleider ausgezogen und sie nackt in ein langes weißes Hemd gesteckt. Die Schwester kam und ging lautlos. Ich setzte mich auf den Stuhl neben dem Bett. Viviane schien zu schlafen. Ich fuhr fast zusammen, als ich plötzlich ihre raue, schwache Stimme hörte, die mich beim Namen rief.

    »Alessa.«
    Sie bewegte die Lippen. Ihre weit offenen Augen starrten mich an. Ich beugte mich über sie.
    »Viviane, wie geht es dir?«
    »Wo sind wir?«, flüsterte sie.
    »Im Krankenhaus. Sei ruhig, du bist bald wieder in Ordnung.«
    »Was hatte ich?«
    Ich versuchte, ruhig zu sprechen.
    »Einen deiner Anfälle. Nicht weiter schlimm. Aber wir mussten den Arzt rufen.«
    Ein Schimmer von Erkenntnis trat in ihre Augen. Sie formte die Worte mit Mühe, deutete auf ihren Mund.
    »Ich glaube, ich habe mir die Zunge verletzt.«
    »Kann sein. Du hast geblutet.«
    »Wie … wie lange muss ich hierbleiben?«
    »Nicht lange, nehme ich an. Du sollst jetzt schlafen.«
    Sie reagierte mit plötzlicher Heftigkeit.
    »Bleib hier, Alessa! Geh nicht weg! Du darfst nicht weggehen!«
    »Ich weiß nicht, ob man mir das erlaubt«, sagte ich verunsichert.
    »Du musst hierbleiben!«, keuchte sie. »Unbedingt! Ich will, dass du

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