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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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Gute, das er besaß. Und er hätte doch wissen müssen, dass wir zu ihm hielten.«
    Ich schüttelte traurig den Kopf. Die Frage, ob es für Giovanni eine Alternative gegeben hätte, hatte ich mir oft genug gestellt und erst nach langem Überlegen eine Antwort gefunden.
    »Es waren die Erwachsenen, Peter, vor denen er sich fürchtete. Ob er log oder die Wahrheit sprach, Giovanni war immer das Opfer. Sie ließen ihm keine Chance.«
    »Oder nur eine einzige.«
    Ich erzählte Peter von meinem Gespräch mit Viviane, damals in London. »Der Engel kam zu spät«, hatte Viviane gesagt. Für uns war es ein Gefühl, als ob eine Uhr in der entscheidenden Sekunde endgültig stehen geblieben war. Was sollten wir machen, wenn das Gefühl nur eine falsche Auffassung vom Wirklichen war? Aber was, wenn es als Albtraum immer wiederkam? Wenn es nicht mehr aus uns herausging, weil es Wurzeln in unsere Seele geschlagen hatte?
    Wir richteten unsere Fahrräder auf, die wir ins Gras geworfen hatten, und schoben sie eine Weile den Weg entlang. Die Sonne schimmerte durch die Bäume, und dahinter leuchteten die Felder mit sonnengelben Ähren, mit Kornblumen und Klatschmohn, dem Gemälde eines Impressionisten ähnlich. Ich sagte zu Peter:
    »Viviane behauptet noch heute, dass Persea damals böse war.«
    Er sah perplex aus.
    »Hat sie noch immer ihr Hirngespinst?«
    »Was verstehst du unter Hirngespinst, Peter?«
    »Erinnerst du dich, als sie diese Figur erfand? Genau wie im Kino, habe ich immer gedacht. Sie sprach ihren Text, gestikulierte dabei, und wir waren stark beeindruckt.«

    Ich lächelte, wenn auch nur flüchtig, wobei ich feststellte, dass wir alles noch ganz genau im Kopf hatten. Als sei es gestern gewesen. Schwierig manchmal, mit Vivi umzugehen, mit dem ewigen Wechsel ihrer Launen. Ich hatte noch die bekümmerten Worte meiner Mutter in den Ohren: »Das Kind ist nie erzogen worden. Eine kleine Wilde. Dass du dir ja kein Beispiel an ihr nimmst.«
    »Schuld war offenbar Miranda. Die hatte sich mit der Familie verkracht und sich einen Irokesenkamm zugelegt.«
    »Gelb, schwarz und karottenrot«, sagte Peter. »Ansonsten war der Kopf rasiert, das Ganze sah wie ausgerupft aus. Dazu hatte sie ein Piercing auf der Zunge.«
    Ich grinste.
    »Und noch eines – aber sag das nicht weiter – an der Klitoris!«
    »Oh, woher weißt du das?«
    »Von Vivi natürlich. Sie hat mal daran gezogen …«
    »Du meine Güte!«
    Wir lachten – und wurden im gleichen Atemzug wieder ernst. Ich sagte: »Punk is not dead, das war Mirandas Motto. Eine Zeit lang saß sie mit zerstochenen Adern in der Waterloo Station neben den Mülleimern. Vollkommen unverständlich, wenn du an ihre Erziehung denkst und das Haus siehst, in dem sie aufgewachsen ist! Ihre Familie ist von der besten Sorte, du machst dir ja keine Vorstellung. Der Vater war ein Lord – ich habe ihn auf einem Gemälde gesehen –; die Mutter sah wie ein Filmstar aus.«
    »Warum ist Miranda so geworden?«
    »Keine Ahnung. Aber die Familie hatte wirklich Pech, das weißt du doch, eine Tragödie nach der anderen.«
    »Die ermordeten Brüder? Kann das sein, dass Miranda es nicht verkraften konnte?«
    »Grund genug, dass sie drogensüchtig wurde?«
    »So hat das vielleicht angefangen«, meinte Peter. »Eventuell
kam anderes hinzu. Gegebenenfalls weiß Vivi auch nicht alles.«
    »Setze mal voraus, dass Vivi alles weiß.«
    »Woher denn?«
    »Der Großvater.«
    »Ach so. Hat sie dir nie etwas erzählt?«
    »Ich kann doch nicht immer fragen. Es geht uns ja schließlich nichts an. Lass sie doch von ihren Toten reden!«
    »Immer noch?«
    »Auf ihre übliche Art, wie von irgendwelchen Nachbarn. Erinnerst du dich, wie sie dich geschlagen hat?«
    Er verzog das Gesicht.
    »Und ob! Sie hat mir wirklich wehgetan. Ich hatte noch tagelang blaue Flecken. Aber ich durfte mich ja nicht wehren. Man prügelt sich nicht mit einem Mädchen, hatte man mir eingeschärft.«
    Er zögerte. Dann: »Findest du es nicht seltsam, dass sie heute noch solche Sachen erzählt?«
    »Früher fanden wir das toll.«
    »Aber heutzutage …«
    »Ach, Peter, wir waren ja so naiv. Was wussten wir denn von ihr?«
    Peter seufzte mit komisch herabgezogenen Mundwinkeln.
    »Nicht viel. Außer dass bei ihr zu Hause alle kifften und ihre Mutter keinen Slip trug.«

11. Kapitel
    M it manchen Dingen aus der Vergangenheit pflegen wir eine Art aseptischen Verkehr, wollen nicht mehr daran erinnert werden. Es bedeutet Verteidigung, wir errichten eine

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